Baden-Württemberg beabsichtigt, zum 1. November 2020 als erstes Land in Deutschland einen Commercial Court mit Standorten in Stuttgart und Mannheim einzurichten. Damit soll erreicht werden, dass große Wirtschaftsstreitigkeiten wieder häufiger vor staatlichen Zivilgerichten ausgetragen werden. Der neue Spruchkörper ist Teil einer seit 2016 verfolgten Gesamtstrategie mit dem Ziel, die Justiz in Baden-Württemberg sichtbarer und attraktiver zu machen. Als Teil dieser Strategie wurden in den Haushaltsjahren 2017 bis 2021 größere Baumaßnahmen mit Gesamtbaukosten in Höhe von rund 280 Millionen Euro etatisiert.
„Die Justiz ist stets Spiegelbild der Gesellschaft. So stellen die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen auch die Justiz vor große Herausforderungen. Die Bevölkerung hat zu Recht eine hohe Erwartungshaltung an die dritte Gewalt als Garanten unseres Rechtsstaats. Eine Justiz, die ihre Aufgaben schnell, modern und effektiv bewältigt, ist daher sowohl in gesellschaftlicher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht ein wichtiger Standortvorteil für Baden-Württemberg“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann in der Regierungspressekonferenz im Anschluss an die Sitzung des Ministerrats am heutigen Dienstag (21. Juli 2020).
Justizminister Guido Wolf sagte: „Der demokratische Rechtsstaat lebt von einer bürgernahen und leistungsfähigen Justiz. Leistungsfähig ist und bleibt die Justiz jedoch nur, wenn wir auch in diese investieren. In dieser Legislaturperiode haben wir die Justiz und den Rechtsstaat gestärkt wie nie zuvor: Wir haben über 1.000 neue Stellen geschaffen. Damit die Justiz die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen kann, bedarf es einer funktionierenden Infrastruktur in den Gerichten, Staatsanwaltschaften und Justizvollzugsanstalten des Landes. Hier setzt unser Investitionsprogramm Justiz an.“
Erster Commercial Court in Deutschland
Bereits zum 1. November 2020 soll der Commercial Court an den Standorten Stuttgart und Mannheim seine Arbeit aufnehmen. Das jeweilige Gericht wird auf die Durchführung komplexer Wirtschaftsstreitigkeiten ausgerichtet sein und, vorbehaltlich der richterlichen Unabhängigkeit, eine besonders effiziente Form der Verfahrensführung unter Einsatz moderner Kommunikationsmittel gewährleisten. Darüber hinaus wird die Möglichkeit bestehen, das Verfahren in weiten Teilen auf Englisch zu führen, sodass auch ein internationaler Sachbezug des Rechtsstreits im Verfahren leichter gehandhabt werden kann. Ziel ist es, Konzerne und Unternehmen dazu zu bringen, große Wirtschaftsstreitigkeiten wieder häufiger vor staatlichen Zivilgerichten auszutragen.
Der Commercial Court Stuttgart, der organisatorisch Teil des Landgerichts Stuttgart ist, wird in neue Räumlichkeiten im sog. Campus Fasanenhof ziehen, wo eine verkehrsgünstige Anbindung in unmittelbarer Flughafennähe gewährleistet ist. Das Landgericht Mannheim, an dem der zweite Standort des Commercial Courts angegliedert ist, empfahl sich aufgrund seines hervorragenden Rufs im Patentrecht und der Erfahrung in internationalen Verfahren beispielsweise mit Parteien wie Apple und Samsung, die das Landgericht Mannheim bereits mehrfach zur Entscheidung ihrer Patentstreitigkeiten angerufen haben.
Justizminister Wolf dazu: „Wir beobachten, dass große Wirtschaftsstreitigkeiten in Deutschland zunehmend seltener vor staatlichen Zivilgerichten ausgetragen werden. Es ist unser Ziel, dieses Feld wieder zurückzuerobern. Nicht nur ist es Teil unseres rechtsstaatlichen Selbstverständnisses, dass die Deutungshoheit über das Recht beim Staat zu liegen hat; es ist vor allem unsere Überzeugung, dass die baden-württembergische Justiz eine echte Alternative darstellen kann zu ausländischen Gerichten oder auch zur privaten Schiedsgerichtsbarkeit. Mit dem ersten Commercial Court in Deutschland mit Standorten in Stuttgart und Mannheim stellen wir uns zukunfts- und wettbewerbsorientiert auf und präsentieren ein Verfahren, um komplexe wirtschaftsrechtliche Rechtsstreitigkeiten auf fachlich höchstem Niveau schnell und effizient einer Lösung zuzuführen.“
Investitionsprogramm Justiz
Ein zentraler Schritt, die baden-württembergische Justiz für die Zukunft zu rüsten, ist die fortgesetzte Verbesserung der Justizgebäude, so Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Die Staatliche Vermögens- und Hochbauverwaltung Baden-Württemberg und die baden-württembergische Justiz stünden dazu in kontinuierlichem Austausch. Dabei, so Justizminister Guido Wolf, „spielen die Vollzugsanstalten des Landes eine wichtige Rolle. Sie leisten einen wesentlichen Beitrag zur inneren Sicherheit und zum Schutz der Gesellschaft durch die Sicherung des Strafverfahrens und die Unterbringung der Gefangenen.“
Das Immobilienportfolio der Justiz in Baden-Württemberg umfasst eine Nutzungsfläche von insgesamt rund 860.000 m². Der Gebäudebestand ist über Jahrzehnte gewachsen, teilweise stehen die Gebäude unter Denkmalschutz. Problematisch ist die zersplitterte Unterbringung zahlreicher Justizeinrichtungen, die nicht nur Personal bindet und die Organisation erschwert, sondern vor allem unter Sicherheitsaspekten bedenklich ist. Eine Aufteilung eines Gerichts auf zwei bis drei Standorte ist keine Seltenheit. Vor diesem Hintergrund hat die Landesregierung seit 2016 ihr „Investitionsprogramm Justiz“ vorangetrieben. Alleine zur Verbesserung der Sicherheit in Gerichten und Staatsanwaltschaften wurden in dieser Legislaturperiode in Einzelmaßnahmen 18 Millionen Euro investiert; insgesamt sind in den Staatshaushaltsplänen seit 2017 größere Baumaßnahmen in Höhe von rund 280 Millionen Euro vorgesehen. Die umfangreichsten Maßnahmen sind die Neuordnung des Justizzentrums am Holzmarkt in Freiburg mit Kosten in Höhe von 28 Millionen Euro sowie neue Haftgebäude in Heimsheim, Ravensburg, Schwäbisch Hall und Rottenburg mit Kosten von jeweils über 20 Millionen Euro. Wichtige zukünftige Projekte, für die bereits jeweils Planungsraten vorgesehen sind, werden sein: der Neubau der Justizvollzugsanstalt Rottweil, der Neubau des Justizvollzugskrankenhauses sowie die Erweiterung des Justizviertels in Stuttgart. Der Bedarf für dringliche Maßnahmen in den kommenden Jahren beträgt geschätzt zwischen 600 und 700 Millionen Euro.
PM Staatsministerium Baden-Württemberg