Gastfamilien herzlich willkommen: Für Menschen mit psychischer Erkrankung ist die Gefahr, zu vereinsamen, in Pandemie-Zeiten besonders groß – Bewohner des Betreuten Wohnens in Familien fühlen sich nicht allein

Er heißt nicht Friedrich Hölderlin, doch auch Werner Holder (Name geändert) ist psychisch erkrankt und lebt in einer Gastfamilie. Damit geht es ihm wie dem prominenten Dichter, der im Tübinger Hölderlinturm bei einer Familie gelebt hat, nachdem er psychisch erkrankt war. Über 200 Jahre trennen die beiden Männer – und: Werner Holder wird außer von „seiner“ Familie auch vom Fachdienst Betreutes Wohnen in Familien (BWF) der Evangelischen Gesellschaft (eva) unterstützt. Damit ist er einer von 20 Frauen und Männern Kindern, die zur Zeit im BWF leben. Die eva sucht immer weitere Gastfamilien in den Landkreisen Stuttgart, Böblingen, Esslingen und Göppingen, die Menschen mit einer psychischen Erkrankung aufnehmen. Das lohnt sich gerade in Corona-Zeiten für beide Seiten besonders.

Seine Gastfamilie ist für Werner Holder in Corona-Zeiten noch wichtiger geworden – und er für sie. Das ältere Ehepaar, bei dem der 42-Jährige lebt, darf keine Besuche mehr machen oder Besuch bekommen. Die drei bleiben unter sich, „das ist am sichersten für uns“, sagt Friedhelm Bauer (Name geändert), bei dem Werner Holder lebt. Doch allein fühlen sich alle drei nicht, denn sie bilden zusammen einen Haushalt. Sie machen kleine Wanderungen, genießen gemeinsame Mahlzeiten und den schönen Garten. „Ich vermisse nichts“, sagt Werner Holder, „wir haben ja uns.“ Und das, obwohl Menschen mit einer psychischen Erkrankung es in Zeiten extremer Belastungen noch schwerer haben als andere. Die Gefahr, ohne tragende soziale Kontakte zu vereinsamen, ist in Pandemie-Zeiten besonders groß.

Werner Holder lebt im Kreis Esslingen. Wie die anderen 19 Frauen und Männer im BWF hat er so die Möglichkeit, in seiner Selbständigkeit unterstützt zu werden. Er hat über den Sozialdienst einer Klinik vom BWF gehört. Häufig erfahren Menschen mit einer psychischen Erkrankung wie er in der Klinik oder auch über einen Sozialpsychiatrischen Dienst von der Möglichkeit, in einer Gastfamilie zu leben. Auch Angehörige können sich für ein Informationsgespräch direkt ans BWF wenden.

Im BWF können alleinstehende erwachsene psychisch erkrankte Menschen ab 18 Jahren leben. Gastfamilien können Alleinstehende, Paare, Haus-und Lebensgemeinschaften, Familien mit Kindern oder auch Alleinerziehende werden. Wichtig ist, dass sie ein Zimmer und einen Platz an ihrem Tisch frei haben.

Der Ansatz des BWF ist „Normalität als Chance“, erklärt Stefanie Naumer, die als eine von vier Fachkräften Familien und die Menschen, die bei ihnen leben, unterstützt. Sie erhalten als Gastfamilien für die Betreuung eine Aufwandsentschädigung sowie eine Mietpauschale. Oft waren die Familien in den vergangenen Jahren schon Türöffner für Sportvereine oder Chöre außerhalb der Familie, die die psychisch erkrankten Menschen alleine nicht besuchen würden. Das ermöglicht eine besondere Form von Inklusion und vermittelt ein gutes und sicheres Gefühl.

Die Mitarbeitenden des BWF haben sich vor der Pandemie mit den Gästen und ihren Gastfamilien häufig in deren Zuhause getroffen. „Diese Selbstverständlichkeit ist passé“, berichtet Stefanie Naumer. „Seit den vergangenen Monaten habe ich mich an Bushaltestellen verabredet, unter Vordächern, bin stundenlang mit Bewohnerinnen und Bewohnern und ihren Gastfamilien spazieren gegangen.“

Das Fachteam des BWF unterstützt psychisch erkrankte Menschen auch in Corona-Zeiten bei behördlichen Angelegenheiten und bei Arztbesuchen, hält Kontakt zu ihrer Arbeitsstelle oder Schule, ist in Krisen da und freut sich gemeinsam mit den Familien und ihren Gästen an Fortschritten. Wie bei Werner Holder, der zuvor in völliger Isolation gelebt hatte.

Wer sich vorstellen kann, einen psychisch erkrankten Menschen bei sich aufzunehmen, kann sich direkt bei Stefanie Naumer melden unter Tel. 07 11.99 76 08 90, bwf@eva-stuttgart.de.

 

PM eva Evangelische Gesellschaft Stuttgart e.V.

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