Verkehrswende 2030: Klimaschutz erfordert erheblichen Ausbau der Schieneninfrastruktur und Verdopplung des ÖPNV

„Der Verkehrssektor liefert noch keine Beiträge zum Klimaschutz – das muss sich dringend ändern“, forderte Landesverkehrsminister Winfried Hermann bei einer Tagung in der baden-württembergischen Landesvertretung in Berlin. „Alle Analysen zeigen, dass der Verkehr nicht aufgrund von Technologien klimafreundlich wird, sondern nur durch eine Strategie aus Anreizen, Kommunikation und Steuerungsinstrumenten“, so der Minister. Der Einladung zur Veranstaltung „Verkehrswende 2030 – Wege für Klimaschutz und die Mobilität für morgen“ folgten am Montag über 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in die Landesvertretung. Veranstalter waren das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg und die Agora Verkehrswende.

Mehrere Szenarien, die im Auftrag des Landesverkehrsministeriums und der Agora Verkehrswende entwickelt wurden, waren Ausgangspunkt der Diskussion um Entwicklungspfade, die es ermöglichen, die anspruchsvollen Ziele des Klimaschutzabkommens von Paris zu erreichen, zu denen sich auch Deutschland verpflichtet hat.

Die Kernbotschaft lautet nach den Worten von Verkehrsminister Hermann: „Die Klimaziele sind noch erreichbar. Sie erfordern jedoch weit mehr Investitionen in die Schieneninfrastruktur als im Bundesverkehrswegeplan 2030 der Bundesregierung vorgesehen und eine Verdopplung des Öffentlichen Verkehrs vor allem in den Städten.“ Die Bundesregierung hatte 2016 in ihrem „Klimaschutzplan 2050“ erstmals ein Sektorziel für die Co2-Reduktion von 40 bis 42 Prozent bis zum Jahr 2030 gegenüber dem Jahr 1990 vorgegeben, aber bis heute noch keine Maßnahmen benannt oder umgesetzt.

Hermann weiter: „Die gute Nachricht ist: Unsere Mobilitätsbedürfnisse könnten weiter auf hohem Niveau befriedigt werden, nur auf andere umweltfreundliche Weise. Die Szenarien zeigen auch, dass ÖPNV-Angebotsverbesserungen allein nicht zu weniger Kfz-Benutzung führen.“ Es brauche eine intelligente Mischung aus neuen attraktiven Angeboten und Restriktionen sowie auch preislicher Steuerungsinstrumente.

„Wir müssen die Rahmenbedingungen zugunsten nachhaltiger Mobilität verbessern. Und wir müssen endlich mit der Umsetzung anfangen!“, so Hermann.

Ähnlich sieht es Christian Hochfeld, Direktor der Agora Verkehrswende: „Die zentrale politische Diskussion muss sich jetzt um die Ausgestaltung der nationalen Maßnahmen drehen. Hier empfehlen wir die wirkmächtigen Maßnahmen im Bereich Nutzerkosten und Verlagerung anzugehen. Darüber hinaus müssen wir Maßnahmen identifizieren, die eine zentrale Schlüsselrolle im Bereich der Städte spielen, für die Lebensqualität wichtig sind und Vorbedingung sind für Verkehrsverlagerung.“

Volker Waßmuth, Bereichsleiter Verkehrsplanung und Verkehrstechnik – ‎PTV Transport Consult GmbH gehört zum Gutachterkonsortium der Studie „Verkehrsinfrastruktur 2030: Ein Klimaschutzszenario für Baden-Württemberg“: „Es gibt zum Erreichen der Klimaschutzziele nicht „die“ eine Maßnahme: Viele Puzzlesteine sind erforderlich für das Gesamtbild und nur Anreize reichen nicht aus: „push“ und „pull“ müssen sein. Auch erhebliche Investitionen sind notwendig:  Die Schiene muss deutlich gestärkt werden. Es braucht eine breite Beteiligung aller – das Umdenken muss auf allen Ebenen einsetzen.“

 

Hintergrund zum Szenario „Verkehrsinfrastruktur 2030“

Das Ministerium für Verkehr hat die Studie „Verkehrsinfrastruktur 2030: Ein Klimaschutzszenario für Baden-Württemberg“ im Oktober 2017 veröffentlicht. Das Klimaschutzszenario für das Jahr 2030 und die Sensitivitätsanalysen sollen zeigen, wie eine Welt aussehen könnte, in der die Klimaschutzziele erreicht werden: Welche Bedeutung hat welches Verkehrsmittel dann und wie sähen die Infrastrukturen aus?

Das VM hat die gleichen Gutachter, die für das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) die Verkehrsverflechtungsprognose zum BVWP 2030 erstellt haben, ein Klimaschutzszenario rechnen lassen. Es nutzt die gleichen Modelle und Methoden wie die Verflechtungsprognose, um zusätzlich darstellen zu können, wie das Ergebnis auf Bundesebene aussehen würde. Geändert wird, dass die CO2-Emissionen des Verkehrs bis 2030 gegenüber 1990 stärker abnehmen müssen. Bei der Verflechtungsprognose werden für das Land nur 21 Prozent Reduktion erreicht, bundesweit 26 Prozent. Dies liegt unter anderem am für Baden-Württemberg prognostizierten weiteren Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum. Das Klimaschutzszenario für Baden-Württemberg, welches primär Maßnahmen zur Verlagerung des Verkehrs auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel im Fokus hat erreicht immerhin eine Minderung von 34 Prozent.

Die Umsetzung des Klimaszenarios Baden-Württemberg wird außerdem zu einer Verringerung der Verkehrsbelastungen im Straßennetz sowie zu Mehrbelastungen im öffentlichen Verkehr in Baden-Württemberg führen. Mit der Senkung der Kfz-Verkehrs ist eine Reduktion des CO2-Ausstosses verbunden, die Reisezeiten auf der Straße verkürzen sich deutlich durch weniger Staus, auch Unfälle nehmen ab.

Zusätzliche Sensitivitätsanalysen belegen, dass die Klimaschutzziele der Bundesregierung und die Klimaschutzziele des Landes für das Jahr 2030 voraussichtlich nicht ausschließlich aufgrund verbesserter Fahrzeugtechnik oder durch den Einsatz von Elektrofahrzeugen erreicht werden können. Dieses Klimaschutzszenario lässt sich nur verwirklichen, wenn baldmöglichst mit den entsprechenden Investitionen in Infrastruktur (Schiene) und Organisation (Schienenverkehr, ÖPNV) begonnen wird.

Das Szenario bestätigt darüber hinaus, dass auch die Investitionen des BVWP 2030 zur Schiene nicht ausreichen. Nur mit einem stärkeren Ausbau der Schienenkapazitäten sowie mit dem Abbau von Hindernissen bei der Nutzung der Schiene ist in Baden-Württemberg eine deutliche Verlagerung vom Straßen- auf den Schienenverkehr erreichbar. Ein erheblicher Ausbau der Schieneninfrastruktur, und zwar über das im BVWP gegebene Maß hinaus, vor allem in den Ballungsgebieten ist erforderlich. Die Investitionen werden voraussichtlich erheblich sein. Für diese gilt es, einen Finanzierungsrahmen zu schaffen. Selbst mit zusätzlichen verkehrspolitischen Maßnahmen sind die Ziele bis zum Jahr 2030 sehr schwer zu erreichen. Der Ausbau des Angebots für umweltfreundliche Verkehrsmittel allein reicht dabei bei weitem nicht aus.

Das Gutachten wurde wissenschaftlich durch ein weiteres Gutachten begleitet, für das auch renommierte Institute gewonnen werden konnten (Uni Stuttgart, PTV, KIT).

Die zusammenfassende Broschüre ist im Internet verfügbar.

PM

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