Nachhaltige Berufe: Dr. Christoph Müller, Vorsitzender der Geschäftsführung Netze BW, im Gespräch – „Energiewende wirklich umsetzen heißt: Themen in die Praxis und in das wahre Leben bringen“

„Es ist ein unglaublich befriedigender Beruf, für die Versorgungssicherheit der Menschen zu arbeiten“, sagt Dr. Christoph Müller. Inwieweit der Vorsitzende der Geschäftsführung von Netze BW sich in seinem Alltag mit Nachhaltigkeit auseinandersetzt und welche Sichtweisen seinen beruflichen Werdegang signifikant geprägt haben, lesen Sie im folgenden Interview.

KEA-BW:
Dr. Müller, ab wann war Ihnen bewusst, dass Ihnen Nachhaltigkeit in Ihrem Beruf wichtig ist?

Dr. Christoph Müller:
Zu meiner Schulzeit war das Klimaengagement noch kein so präsentes Thema, wie es aktuell für die junge Generation ist. Mein Interesse für Nachhaltigkeit, insbesondere für den Themenbereich Energie hat sich während meines Volkswirtschaftsstudiums an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster herauskristallisiert und immer stärker entwickelt. Aus ebendiesem Grund folgte nach dem Studium schließlich auch meine berufliche Spezialisierung auf die Energiewirtschaft.

Was genau hat die Energiewirtschaft für Sie so attraktiv gemacht?

Mein Antrieb war es immer, die gesamte Energiewirtschaft kennenzulernen und durchlaufen zu können. In dieser Branche gibt es eine unglaubliche Breite an Erfahrungen – die reichen vom Transformatortausch im Strümpfelbachtal in Baden-Württemberg bis zu Projekten zur Generierung von CO2-Zertifikaten in Thailand. Besonders interessant ist die allgegenwärtige Verbindung zwischen politischen Themen und dem am Wettbewerb orientierten Markt. Auch das Fitmachen der Verteilnetze für die Energiewende ist beispielhaft für die Vielseitigkeit in diesem Berufsfeld. Die Energiewirtschaft ist in meinen Augen daher ein unglaublich spannendes Thema. Die Entscheidung, im Energiesektor zu arbeiten, bereue ich deshalb bis heute nicht.

Gab es besondere Herausforderungen, auf welche Sie sich in Ihrer Position eingestellt mussten?

Die Verteilnetze, also die örtlichen und regionalen Stromnetze, sind gewissermaßen der „Blinde Fleck“ der Energiewende. Ein zentraler Punkt meiner Arbeit ist, Verständnis für die kommenden Veränderungen gerade im Verteilnetz zu schaffen. Wir reden in der Energiewende immer sehr stark über den notwendigen Kohleausstieg, die Wärmewende oder Photovoltaik und den Ausbau der überregionalen Netze, aber am Ende findet die Energiewende im Verteilnetz statt. Das ist vielen nicht bewusst. Das Verteilnetz weiterzuentwickeln und zu managen ist eine der großen Aufgaben, die auf uns zu kommen.

Wie wird das aussehen?

Theoretisch ist das alles durchdacht. Aber es ist essenziell, diese theoretischen Konzepte auch in die Wirklichkeit umzusetzen – also Klimaschutz „in echt“ zu betreiben. Aus diesem Grund sammeln wir gezielt praktische Erfahrungen: Wir haben dafür das Format der „Netzlabore“ entwickelt. Nur ein Beispiel: Um etwa die realen Auswirkungen von Elektromobilität zu erleben, stellten wir einem Straßenzug mit 20 Wohnhäusern zehn Elektroautos zur Verfügung und haben das dann über ein Jahr lang begleitet und beobachtet. Es war uns damit möglich nachvollziehen, welche Wirkungen eine weit fortgeschrittene Elektromobilität im echten Leben hat. So stellte sich beispielsweise heraus, dass befürchtete Horrorszenarien wie das gleichzeitige Laden aller zehn Elektroautos in allen Haushalten zur gleichen Zeit ausblieben.

Welche Tätigkeiten fallen in Ihren Aufgabenbereich und welche davon sind in Ihren Augen besonders wichtig?

Irgendwie ist man als Geschäftsführer ja für alles verantwortlich, mein Schwerpunkt liegt allerdings auf den kaufmännischen Themen. Die Energiewende muss nicht nur ökologisch nachhaltig sein, sondern auch ökonomisch gelingen. Neben dem Regulierungsmanagement ist das Voranschreiten der digitalen Technologie von großer Bedeutung – und auch spannend im Hinblick auf die Verteilnetze. Die Digitalisierung ist für die Nachhaltigkeit und die Energiewende unglaublich wichtig. Wenn in der Bundesrepublik zwei Millionen Anlagen und mehr gesteuert werden müssen, braucht es elektronische Verarbeitungstechniken. Und mit Blick auf den blinden Fleck der Verteilnetze in der Energiewende sehe ich es als wichtige Aufgabe an, auch darüber zu reden.

Welche Veränderungen in puncto Nachhaltigkeit oder Klimaschutz konnten Sie in den letzten Jahren beobachten?

Der Klimaschutz war schon immer ein Megatrend, jedoch lange Zeit ein von der Branche negierter. Es wird oft übersehen: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz wurde zum Beispiel von einer Regierung unter Helmut Kohl eingeführt – es hat lange gedauert, bis die Branche das Thema ernsthaft aufgenommen hat. Erst in den letzten Jahren ist die Erkenntnis gereift, wie wichtig Nachhaltigkeit ist und die Energiewende eine Aufgabe für uns, für die Branche ist.  Dieses Thema wird auch nicht mal eben wieder verschwinden. Der Klimawandel ist für die Menschen konkret beobachtbar und spürbar geworden. Damit wird der Druck auf die Branche, die Energiewende auch umzusetzen, noch weiter steigen.

Wie sieht das betriebliche Engagement von Netze BW für die Energieeffizienz aus?

Wir als Netze BW sehen uns als Energieunternehmen als Vorbild. Noch für dieses Jahr werden wir Klimaneutralität erreichen. Unseren Betriebsverbrauch von Strom und Gas werden wir dann zum Beispiel ausschließlich nachhaltig beschaffen. Natürlich bin ich mir der Kosten bewusst, aber was getan werden kann, sollte nun einmal auch getan werden. Im Vergleich zu Kraftwerksbetreibern ist es für einen Verteilnetzbetreiber vergleichsweise einfach, Klimaneutralität zu erreichen. Für mich folgt daraus die Verantwortung, dass wir das dann auch zügig umsetzen.

Warum ist der Beruf des Energiewirtschaftler oder der Energiewirtschaftlerin wichtig für die Zukunft?

Das Berufsfeld ist wichtig für die Zukunft, weil die Energiewende gestaltet und umgesetzt werden muss. Die Debatte um den Kohleausstieg ist dafür ein Paradebeispiel. Das Thema ist nicht „wann steigen wir aus Kohle aus“, sondern „wann werden wir in erneuerbare Energien einsteigen“. Windstrom braucht keinen Vorrang und keinen Kohleausstieg, um sich im Markt durchzusetzen. Die Maßnahmen müssen konstruktiv umgesetzt werden, man darf nicht nur darüber sprechen. Denn mehr Windstrom braucht zwar keinen Kohleausstieg, aber eben schon mehr Windräder, die gebaut werden müssen. Aber es muss es nicht immer so etwas Komplexes wie die Energiewende sein. Ein schönes Beispiel für einfache Zukunft: Die Abschaffung der Ablesekarte und die fast vollständige Digitalisierung haben wir beispielsweise mit 800.000 Euro an Spendengeldern gefördert. Sie kamen zustande, indem wir das Porto für den Postversand eingespart und ausgeschüttet haben. Unsere Kundinnen und Kunden haben großartig mitgezogen, diesen Kommunikationsweg zu digitalisieren.

Was würden Sie Menschen sagen, die sich überlegen, in der Energiewirtschaft tätig zu werden?

Ich würde allen empfehlen, in die Energiewirtschaft zu gehen. Es ist ein unglaublich befriedigender Beruf, für die Versorgungssicherheit der Menschen zu arbeiten. Wenn man als Ingenieurin oder Ingenieur in der Fläche weiß, dass man für die Stromversorgung des eigenen Wohnortes zuständig ist, dann motiviert das natürlich. Des Weiteren ist das Geschäftsfeld der Energieversorgung äußerst vielseitig. Egal ob riesige Projekte, Politik, Markt oder technische und gewerbliche Bereiche. Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn in der EnBW sehr vielfältige Stationen durchlaufen – und jede war bereichernd.

Welche politischen Anstrengungen bräuchte es Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren, um den Klimaschutz ausreichend voranzubringen?

Nachhaltigkeit muss noch viel stärker in der Gesellschaft ankommen. Die Menschen müssen verstehen, dass Klimaschutz etwas mit ihnen persönlich zu tun hat. Aktuell ist der Konsens nur auf der Metaebene. Eines meiner Lieblingsbeispiele ist das Tempolimit auf der deutschen Autobahn. Die Einschränkungen und der Komfortverzicht wären sehr gering bis nicht spürbar, eine solche Regelung würde die Menschen kaum einschränken, aber einen konkreten Klimaeffekt haben. Trotzdem wird die Überlegung nicht umgesetzt. Es gibt viele Diskussionen, doch es fehlt an gesamtgesellschaftlicher Akzeptanz. Das muss sich allgemein ändern.

Wie wichtig ist Ihnen der Klimaschutz privat? Äußert sich Ihr Engagement für Nachhaltigkeit über den Beruf hinaus?

Privat ist Nachhaltigkeit in meinen Augen schwieriger umzusetzen als auf geschäftlicher Ebene. Trotzdem gibt es einige Grundsätze, an die auch ich mich halte. Darunter zählt zum einen das Vermeiden von Flug- und Fernreisen. Meine Heizungsanlage und das Dach meines Wohnhauses habe ich energetisch sanieren lassen.

Wir bedanken uns für das interessante Gespräch und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg beim Mitgestalten der Energiewende.

 

Weiterführende Links:

Netze BW
Lebenslauf Dr. Christoph Müller
Die KEA-BW unterstützt bei der Energiewende

 

PM KEA Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg GmbH

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