„Bürokratie ist für mich ein Brechmitte“ – Paritätischer Wohlfahtsverband warnt vor Kollaps

Über 900 Mitgliedsorganisationen sind auf Landesebene in der Paritätischen organisiert. Auch der Kreisverband Göppingen bündelt die Interessen seiner Mitgliedsunternehmen. Bei einem Pressegespräch im Cafe des Waldeckhofes der SAB in Göppingen fanden die Vertreter der Paritätischen und deren Mitgliedesunternehmen zum Teil harsche Worte.

Ulf Hartmann, Vorstand des Paritätischen Wohlfahtsverbandes Baden-Württemberg: „Es droht die komplette Einstellung der sozialen Arbeit“

„Die drastischen explodierenden Preissteigerungen bei Energie-, Lebensmittel-, Sprit- und Sachkosten, aber auch die Lohnkostensteigerungen stellen soziale Einrichtungen und Dienste vor große wirtschaftliche Herausforderungen. Gleichzeitig müssen aufgrund des massiven Personalmangels, Angebote zurückgefahren werden, wodurch die Erträge sinken. Ein Großteil steht mit dem Rücken zur Wand und ist in einer finanziell prekären Situation. Viele Einrichtungen und Dienste werden lediglich durch pauschale Zuschüsse unterstützt, welche die anzunehmenden Kostensteigerungen nicht ansatzweise abfangen. Auch sind die aktuellen hohen Kosten nicht in den ausgehandelten Entgelten und Vergütungen, beziehungsweise in den Fördermitteln abgebildet. Ohne eine ausreichende Finanzierung ist die Versorgungssicherheit für die Menschen im Land nicht mehr gewährleistet. Hier ist die Politik gefordert und im Sinne der Daseinsvorsorge verpflichtet, die Finanzierung sozialer Einrichtungen und Dienste zu sichern.“ so Hartmann gegenüber der Presse.

„Dabei steigen laufend die Anforderungen an die Sozialverbände“, ergänzt Monika Pandikow, Einrichtungsleiterin des SOS Kinderdorfes in Göppingen

„Die Situation in der Kinder- und Jugendhilfe wird immer angespannter. Der Fachkräftemangel führt dazu, dass insbesondere in der stationären Jugendhilfe Stellen immer schwieriger zu besetzen sind. Auch in den ambulanten und offenen Angeboten bleiben immer wieder Stellen über Zeiträume hinweg unbesetzt. Gleichermaßen in den Kitas, in denen schon bei voller Besetzung der Stellen die Personalschlüssel zu knapp bemessen sind. Diese Situation trifft seit Corona auf stark gestiegene Bedarfe bei Kindern, Jugendlichen und Familien. Damit sich die Situation nicht weiter verschärft, braucht es eine Fachkräfteoffensive und bessere Arbeitsbedingungen. Auch bezüglich der Ausbildung pädagogischer Fachkräfte besteht akuter Handlungsbedarf. Es braucht mehr Ausbildungs- und Studienplätze, aber auch mehr gute Qualifizierungsbausteine für Quereinsteigende und Fachkräfte aus dem Ausland. Dass Kinder und Jugendliche entsprechend ihrer Bedarfe gefördert werden, um sich zu eigenständigen und (sozial) kompetenten Erwachsenen entwickeln zu können ist von gesamtgesellschaftlichem Interesse – in sozialer und gleichermaßen wirtschaftlicher Hinsicht.“

„Es wird immer schwerer, Kranke im System zu halten, wenn Ämter nicht erreichbar sind, aber ohnen Sozialamt geht nichts“, bemängelt Jutta Kraus, Geschäftsführerin der Viadukt Hilfen für psychisch Kranke e.V. die ausufende Bürokratie

„Der Beratungs- und Hilfebedarf für Menschen mit einer psychischen Erkrankung steigt ständig an. Auch niederschwellige Angebote wie Tagesstätten sind wichtiger als je zuvor. Deshalb brauchen diese Angebote eine sichere Finanzierung und dürfen nicht länger von Freiwilligkeitsleistungen der Kommunen abhängen. Hier ist eine verbindliche Regelförderung erforderlich.“

„Bürokratische Anforderungen sind von Ehrenamtlichen nicht mehr zu leisten“, rügt auch die Kreisvorsitzende des VdK, Martina Heer, das System

„Die klassischen Verbände und Vereine haben inzwischen Probleme, Menschen zu finden, welche ehrenamtlich eine verantwortliche Position übernehmen. Die Ursachen hierfür sind vielfältig, das Alter, Bürokratie innerhalb der Vereins-/ Verbandsstrukturen, Vorgaben des Finanzamts, mangelnde Anerkennung – oftmals von den Mitgliedern, Vorstandskollegen, aber auch aus dem öffentlichen Bereich. Dies zermürbt viele Ehrenamtliche und veranlasst sie Ämter aufzugeben, beziehungsweise sich nicht dafür zur Verfügung zu stellen. Dabei kann einem ein Ehrenamt so viel geben, wunderbare Menschen und Begegnungen, welche man sonst nie kennen lernen dürfte und sich für eine Sache einsetzen, welche einem wichtig ist. Aber das Wichtigste ist, dass das Ehrenamt der Kitt in unserer Gesellschaft ist. Vieles wäre ohne die ehrenamtlich Tätigen nicht mehr leistbar. Vieles im sozialen, sportlichen, kulturellen aber auch politischen Bereich könnte ohne das ehrenamtliche Engagement nicht mehr angeboten werden.“

Aber wo liegen die Probleme?

1. Die Anforderungen

Das Sozialsystem setzt aus Kostengründen sehr stark auf die Sozialarbeit der Verbände, die bisher vieles ehrenamtlich regeln konnten. Der Gesetzgeber hat aber die Anforderungen an das Personal, die Betreuung Hilfebedürftiger aber auch an die Durchführung von Maßnahmen immer weiter spezialisiert und bürokratisiert. Verbände dürfen heute nicht mehr nur allgemein Hilfeleistungen anbieten, sondern müssen sich jede Maßnahme für jeden Patienten einzeln genehmigen lassen. Dazu muss der Kranke zum Amt, dort wird sein Bedarf festgestellt und eine Hilfeplan erstellt. Der Anbieter von Sozialarbeit muss auf Grundlage dieser Pläne dann eine Maßnahme ausarbeiten und genehmigen lassen. Und dann wir die Maßnahme engmaschig überwacht. Jeder Abweichung von der Genehmigung (z.B. Änderung im Krankheitsbild) muss dann wiederum beantragt werden. Diese Verfahren bindet studierte Sozialpädagogen, die dann wiederum bei der praktischen arbeit mit den Patienten fehlen. Von Ehrenamtlichen ist diese Arbeit nicht mehr zu leisten. Ehrenamtliche verlassen oft frustriert die Organisationen so Martina Heer.

2. Das Personal

Die Arbeit in den Einrichtungen obliegt den studierten Sozialpädagogen. Die Einrichtungen selber können die Fachkräfte nicht ausbilden, Für das Studium sind die Länder zuständig. Und hier werden nicht genügend Studienplätze angeboten um den Bedarf zu decken. Zudem sind die Anreize, diesen Beruf zu ergreifen, nicht besondern hoch. Die Anforderungen sind hoch, genauso wie die Belastungen, die Bezahlung ist zudem nicht angemessen.

Und der Staat die beschriebene Bürokratie immer weiter aufbläht und auch hier Sozialpädagogen gebraucht werden, ziehen es viele Studierte vor, in der Verwaltung zu arbeiten, bei besseren Arbeitszeiten und besserer Bezahlung.

Zudem ist der Beruf inzwischen ein reiner Frauenberuf, erläutert Jutta Kraus. Schwangere dürfen zum Beispiel am dem ersten Tag nicht mehr mit Kranken arbeiten. Zudem dürften Frauen nicht alleine mit psychisch auffälligen Menschen oder Straftätern alleine arbeiten. Dies erhöht den Personalbedarf. Beim Viadukt sind zurzeit vier Frauen schwanger. Sie werden vollständig bezahlt und haben während dieser Zeit auch noch den Anspruch auf Jahresurlaub. Nur noch 50% der ausgebildeten Sozialpädagogen arbeiten so noch im sozialen Bereich am Menschen, erläutert Kraus.

3. Die Finanzierung

Die Bezahlung der sozialen Leistungen geschied über Tagesätze. Diese Tagessätze berücksichtigen aber nur die Kosten von Gestern. Allgemeine Kostensteigerungen aber auch neue Anforderungen werden erst für die Zukunft, oft mit mehreren Jahren Verzögerung, berücksichtigt.Das bedeutetein dauerhaftes Defizit für die Unternehmen, die nicht mehr zu tragen sind, so Ulf Hartmann. Er fordert eine schnelle und deutliche Erhöhung der Förderung durch das Land, sonst müssen Maßnahmen eingestellt werden.

Die Systeme werden immer weniger tragfähig, weiß auch Monika Pandikow, Gruppen werden vergrößert, die Sozialarbeit in Kitas und die Offene Sozialarbeit sind nicht mehr sicher. Bei derVdK lösen sich bereits Ortsverein auf und damit fehlt dann die ortsnahe ehrenamtlich getragene Sozialarbeit, wie regelmäßige Zusammenkünfte, Veranstaltungen und Freizeiten.

4. Die Bürokratie

Auf jeden Sozalpädagogen in der Betreuung kommt gefühlt schon ein Sozialpädagoge in den Ämtern. Man begegnet uns mit großem Misstrauen, so Martina Heer. Alles wir kontolliert und überwacht. Dies wird aber auch über die Gelder für den Sozialbereich abgedeckt. Geld das zusätzlich fehlt. Hier fordert Herr mehr Realismus. Aber dieser Kampf gegen dden Bürokratismus ist ein Kampf gegen Windmühlen, so Hartmann, der Die Sozialunternehmer in Gesprächen mit der Politik vertritt.

Die Bürokratie ufert aber auch bei der Anwerbung ausländischer Fachfräfte aus. Wenn alle Unterlagen vorliegen, dauert die Anerkennung der Fachkräfte immer noch acht Monate. Bei Fachkräften aus Drittstaaten kommt dann noch die lange Wartezeit bei den Botschaften hinzu, bis dann ein Arbeitsvisum ausgestellt ist. Dies dauert dann nochmals mindetsen drei Monate.

Hinzu kommt, dass immer wieder Flüchtlinge ausgewiesen werden, die sich integriert haben, hier einen Berufsabschluss erworben haben und eine hohe Arbeitsmotivation haben. Dies ist nicht nachvollziehbar, so Pandikow.

PS: Die Aussage in der Überschrift ist wirklich gefallen und beschreibt deutlich den Frust der Beteiligten.

Foto von links: Martina Heer, Jutta Kraus, Ulf Hartmann, Monika Pandikow und Judith Greiwe von der SAB

Joachim Abel

 

 

 

 

 

 

 

Martina Heer, Vorsitzende vom Sozialverband VdK Kreisverband Göppingen

„Die klassischen Verbände und Vereine haben inzwischen Probleme, Menschen zu finden, welche ehrenamtlich eine verantwortliche Position übernehmen. Die Ursachen hierfür sind vielfältig, das Alter, Bürokratie innerhalb der Vereins-/ Verbandsstrukturen, Vorgaben des Finanzamts, mangelnde Anerkennung – oftmals von den Mitgliedern, Vorstandskollegen, aber auch aus dem öffentlichen Bereich. Dies zermürbt viele Ehrenamtliche und veranlasst sie Ämter aufzugeben, beziehungsweise sich nicht dafür zur Verfügung zu stellen. Dabei kann einem ein Ehrenamt so viel geben, wunderbare Menschen und Begegnungen, welche man sonst nie kennen lernen dürfte und sich für eine Sache einsetzen, welche einem wichtig ist. Aber das Wichtigste ist, dass das Ehrenamt der Kitt in unserer Gesellschaft ist. Vieles wäre ohne die ehrenamtlich Tätigen nicht mehr leistbar. Vieles im sozialen, sportlichen, kulturellen aber auch politischen Bereich könnte ohne das ehrenamtliche Engagement nicht mehr angeboten werden.“

Pressekontakte:

Staufen Arbeits- und Beschäftigungsförderung gGmbH, Karin Woyta, Geschäftsführerin, Tel. 07161/ 9 46 98 0, mobil 0172 / 6260866, E-Mail: info@sab-gp.dewww.sab-gp.de

SOS- Kinderdorf Göppingen & Stuttgart, Monika Pandikow, Einrichtungsleiterin, Tel. 07161/ 96364-210, E-Mail: monika.pandikow@sos-kinderdorf.de, www.sos-kinderdorf.de

Viadukt Hilfen für psychisch Kranke e.V., Jutta Kraus, Geschäftsführerin, Tel. 07161/65616-0, E-Mail: gf@viadukt-gp.de, www.viadukt-gp.de

Sozialverband VdK Kreisverband Göppingen, Martina Heer,Vorsitzende, Tel. 07161/9659290, E-Mail: v-goeppingen@vdk.de, https://www.vdk.de/kv-goeppingen/

Der Paritätische Baden-Württemberg

Der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg ist einer der sechs anerkannten Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege. Er ist weder konfessionell, weltanschaulich noch parteipolitisch gebunden. Der Verband steht für Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Teilhabe und wendet sich gegen jegliche Form sozialer Ausgrenzung. Ihm sind in Baden-Württemberg über 900 selbständige Mitgliedsorganisationen mit insgesamt rund 2.000 sozialen Diensten und Einrichtungen angeschlossen sowie rund 50.000 freiwillig Engagierte. Weitere Informationen unter www.paritaet-bw.de

Der Paritätische Kreisverband Göppingen

Der Kreisverband Göppingen bündelt die Interessen seiner Mitgliedsorganisationen- und Einrichtungen und vertritt diese gegenüber der Kommunalpolitik und der Öffentlichkeit. Gleichzeitig fördert er den Erfahrungsaustausch, die politische Willensbildung und die Vernetzung der Mitglieder untereinander. Im Kreisverband Göppingen unterstützen wir  Menschen in ihren jeweiligen Lebenslagen und handeln dabei nicht profitorientiert. Dabei behalten wir die gesellschaftliche Vielfalt im Blick und streben die Beteiligung und Teilhabe Aller am öffentlichen Leben an. Der Kreisverband repräsentiert mit seinen Mitgliedsorganisationen einen bedeutenden Teil der sozialen Infrastruktur. Zu dem breit gefächerten Spektrum  gehören insbesondere Einrichtungen der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe, Einrichtungen der Behindertenhilfe sowie eine Vielzahl an Selbsthilfegruppen. Im gleichberechtigten, ehrenamtlichen Vorstand engagieren sich drei Vertreterinnen der Mitgliedsorganisationen die auch in der LIGA der freien Wohlfahrtspflege, im Jugendhilfe- und Sozialhilfeausschuss mitwirken. Kontakt: E-Mail: goeppingen@paritaet-bw.de, https://paritaet-bw.de/regional/kreisverbaende/paritaetischer-kreisverband-goeppingen

Joachim Abel

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