Geste der Versöhnung

Auf den ersten Blick scheint es ein unscheinbares Objekt zu sein, das jüngst an das Jüdische Museum in Jebenhausen kam. Die Rede ist von einem Silberbecher, der gerade einmal gut sieben Zentimeter groß und von Patina überzogen ist. Doch die Geschichte, die sich hinter dem kleinen Edelmetallgefäß verbirgt ist bemerkenswert.

Der über seine Inschrift in das Jahr 1706 datierende teilvergoldete Silberbecher wurde in Stuttgart gefertigt und ging als Taufgeschenk in die Reichsstadt Esslingen. Später befand er sich im Besitz der Göppinger Jüdin Hermine Bernheimer aus der gleichnamigen Unternehmerfamilie, die vor allem für ihren Kräutergeist „Borato“ bekannt war. Hermine Bernheimer wurde am 17. Juni 1870 in Göppingen als Tochter des Kaufmanns Jakob Bernheimer und seiner Frau Berta, geborene Rosenthaler, geboren. Wie Hermine Eigentümerin des Bechers wurde, ist nicht bekannt. Wie sie ihn jedoch verloren hat, ist hingegen gut nachvollziehbar. Auf Basis der am 21. Februar 1939 durch die Nationalsozialisten erlassenen „Dritten Anordnung auf Grund der Verordnung über Anmeldung des Vermögens von Juden“, wurden die Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens gezwungen, ihre Edelmetallgegenstände bei beauftragten Leiheinrichtungen abzuliefern. Diese kurz als „Silberzwangsabgabe“ bezeichnete Aktion betraf auch die alleinstehende Hermine Bernheimer, die inzwischen zu ihrer verwitweten Schwester Rösle Frei nach München gezogen war. Vom Städtischen Leihamt München erstand dann das Bayerische Nationalmuseum das Objekt im Jahre 1940 für lediglich 13 Reichsmark. Während Hermine schließlich in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und dort am 7. Oktober 1943 ermordet wurde, überdauerte ihr Becher im Münchner Museum.

Dort konnte nun das Objekt identifiziert und seine Geschichte im Rahmen der institutionalisierten Provenienz-, also Herkunftsforschung, aufgearbeitet werden. Hintergrund bildet die sogenannte Washingtoner Erklärung aus dem Jahre 1998, in der sich neben der Bundesrepublik Deutschland 43 weitere Staaten verpflichtet haben, öffentliche Sammlungen auf NS-Raubkunst und verfolgungsbedingt entzogene Objekte hin zu untersuchen und die Gegenstände an die rechtmäßigen Eigentümer bzw. deren Nachfahren zurückzugeben. Der Leiter des Referats für Provenienzforschung am Bayerischen Nationalmuseum, Dr. Matthias Weniger, hat nicht nur die jahrelange Forschungsarbeit zum Objekt übernommen, sondern auch die Nachfahren von Hermine Bernheimer in Erfahrung gebracht, um ihnen den Silberbecher zu restituieren. Die aus sieben Parteien bestehende Erbengemeinschaft hat sich schließlich dazu entschieden, den rückerstatteten Becher nach Göppingen heimkehren zu lassen und dem Jüdischen Museum in Jebenhausen als Schenkung zu überlassen, wo er ausgestellt werden soll.

Am 25. Juli fand nun die feierliche Übergabe des Silberbechers im Jebenhäuser Museum statt. Dr. Matthias Weniger überreichte das Objekt dem Museumsleiter Dr. Dominik Gerd Sieber, während ein Teil der in den USA und Australien lebenden Nachfahren von Hermine Bernheimer über eine Online- Videokonferenz zugeschaltet waren. Stellvertretend für die weitverzweigte Familie sprach Naomi Karp von einem wichtigen positiven Zeichen in unserer gegenwärtig schwierigen Zeit. Ihre bewegten Worte unterstrichen, wie wichtig die Rückgabe von solchen unter Zwang abgepressten Objekten ist. Neben der darin liegenden Chance, die schmerzhafte und gebrochene Familiengeschichte dadurch ansatzweise zu heilen, hat vor allem die – zugegebenermaßen recht späte – Anerkennung der damaligen Maßnahmen als grobes Unrecht eine hohe Bedeutung für die Opfer bzw. deren Nachkommen. Und nicht zuletzt handelt es sich um eine Geste der Versöhnung, die über die großzügige Schenkung erweitert wurde und die die Stadt Göppingen mit großer Dankbarkeit annimmt. Der Silberbecher wird den Ausstellungsbereich zur juristischen Aufarbeitung des NS-Unrechts in besonders anschaulicher Weise bereichern. Nachdem das entsprechende Display in der Vitrine modifiziert sein wird, kann der Becher wohl ab Herbst im Museum besichtigt werden.

Foto: Dr. Matthias Weniger, Bayerisches Nationalmuseum (rechts), und Dr. Dominik Gerd Sieber, Archiv und Museen der Stadt Göppingen (links), bei der feierlichen Übergabe des Silberbechers im Jüdischen Museum. Foto: Archiv und Museen der Stadt Göppingen

PM Stadtverwaltung Göppingen

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