Sonntagsgedanken: Anders als erwartet

Wenn wir ganz plötzlich und unerwartet von außen vor einer einschneidenden Veränderung in unserem Leben stehen, springt bei vielen von uns das Sorgenkarussell an. Wir malen uns in schlaflosen Nächten aus, was alles sein könnte, entwerfen Szenarien in verschiedene Richtungen, bis sich das Gefühl von Sorge und Angst in uns eingenistet hat.

Dabei spielt sich ein großer Teil der Bedrohung nur in unserer Phantasie ab, wir ängstigen uns vor Möglichkeiten. Insgeheim wissen wir natürlich, dass die wenigsten Befürchtungen eintreffen werden. Aber in ungewissen Zeiten bekommen die Gefühle die Oberhand. Wir haben keine Erfahrung mit diesen Situationen, sie durchbrechen unsere bisherigen Erwartungen und Vorstellungen. Es fällt uns Menschen einfach schwer, die Kontrolle aufzugeben und uns dem Fluss des Lebens anzuvertrauen. Nicht nur im persönlichen Leben, auch die Entwicklungen in unserer Gesellschaft und weltweit geben gerade im Moment wieder viele Anlässe für Sorgenszenarien.

Da kommt der Palmsonntag gerade recht. Wir denken zum Beginn der Karwoche daran, wie Jesus  auf einem Esel in Jerusalem einzieht und als König gefeiert wird. Die Menschen jubeln ihm zu und legen Palmwedel auf seinen Weg. Für die herrschenden Römer war dies eine Provokation, denn die Zweige standen damals für Unabhängigkeit und Sieg. Und genau das erwarteten die Menschen von Jesus, dass er sie von der Herrschaft der Römer befreite. Nur ein paar Tage später kippt die Stimmung und Jesus kommt ins Gefängnis und stirbt am Kreuz. Die Erwartungen vieler wurden kläglich enttäuscht, die Hoffnung stirbt. So hatten sie sich das nicht vorgestellt. Ganz anders als erwartet löste sich dies alles dann am Ostermorgen in einem buchstäblich neuen Licht auf. Was da geschah, damit hatte keiner gerechnet und es übertraf alle bisherigen Vorstellungen.

Der Automobil-Pionier Walter Chrysler soll seine täglichen Sorgen aufgeschrieben und in einer kleinen Schachtel auf seinem Schreibtisch abgelegt haben. Wenn er diese Sorgenschachtel nach einigen Wochen wieder öffnete, konnte er die meisten seiner Befürchtungen in den Papierkorb werfen: sie hatten sich von selbst erledigt oder waren längst vergessen. Heute wissen wir auch aus der Psychologie, dass unsere Erwartungen Einfluss haben auf das, was wir wahrnehmen. Mit der Zeit nimmt die Seele quasi die Farben unserer Gedanken an. Deshalb ist es gut, sich nicht allzu sehr auf seine Erwartungen zu fixieren, sondern immer wieder auch nach überraschenden Lichtblicken zu suchen und Osterspuren zu entdecken. Für uns selbst und auch im Blick auf all das, was wir im Moment an schwierigen Entwicklungen in der Welt sehen und erwarten. Vielleicht heißt das, immer wieder auch mit dem Wunder zu rechnen, offen zu bleiben und zu vertrauen, dass Gott seine Geschichte mit uns weiterschreibt. Vielleicht ganz anders als erwartet.

Sabine Stövhase

Caritas-Zentrum Göppingen

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