Am 31.5.1945 fand der Brünner Todesmarsch statt, wo aus der Stadt die deutsche Bevölkerung zur österreichischen Grenze getrieben wurde:
Etwa zeitgleich verfasste der tschechoslowakische Präsident Edvard Benes seine Dekrete zur Enteignung und Vertreibung der deutschsprachigen und ungarischen Bevölkerung aus dem Land, die 1946 in Kraft traten. Diese Dekrete empfinde ich als nachvollziehbar und richtig. Den Todesmarsch verurteile ich in seiner Form, finde die Ausweisung an sich aber richtig. Man muss in diesem Zusammenhang die Vorgeschichte beachten. Über 90% der deutschsprachigen Bevölkerung wählten die rechte Sudetendeutsche Partei, begrüßten den Anschluss an das Dritte Reich und behandelten ihre tschechischen Landsleute wie Untermenschen. Und ein Großteil der jetzt zum Glück ausgestorbenen Generation war ihr Leben lang reaktionär eingestellt und sorgte damit teilweise für Zwietracht in ihrer neuen Heimat. Der ehemalige tschechische Präsident Milos Zeman mag zwar ein zutiefst verwerflicher Mensch gewesen sein, traf mit seiner Aussage über die deutsche Bevölkerung der Tschechoslowakei als „fünfte Kolonne Hitlers“ den Nagel auf den Kopf.
Ein kleiner Exkurs: Der Begriff „Sudetendeutsche“ gefällt mir nicht, weil die Sudeten ein Gebirge an der Grenze zwischen Schlesien und Tschechien sind und die deutschsprachige Bevölkerung der Tschechoslowakei eigentlich keine Deutschen, sondern Österreicher waren. Und aus diesem Grund hätten sie nicht nach Deutschland, sondern nach Österreich vertrieben werden müssen.
Die in die westlichen Zonen kamen, trugen zum Aufbau der BRD bei und wir brauchten damals dringend Arbeitskräfte, so dass man auch dieses Volk ertragen musste. Aber diejenigen, die in die Ostzone kamen und keine Anstalten machten, in den Westen zu gehen, hätte man 1989 nach Österreich ausweisen sollen. Diese haben einem Schurkenstaat gedient und bekamen nach der deutschen Einheit Rente, die vom Westdeutschen Steuerzahler gezahlt werden mussten. Dadurch entstanden mehr Zonendeutsche und potenziell Rechte, die bis heute für Unfrieden sorgen.
Die beliebte spätere westdeutsche Schauspielerin Ruth-Maria Kubitschek, bekannt aus Monaco Franze, wurde 1931 in der Tschechoslowakei geboren, kam nach dem Krieg in die SBZ und floh später in die BRD. Wäre sie nicht proaktiv in den Westen gegangen, hätte es diese beliebte Serie vielleicht nie gegeben. Aber eigentlich hätten das schon ihre Vorfahren tun müssen. Und ich kenne einen Mann, der 1944 in der Tschechoslowakei geboren, 1946 in die SBZ vertrieben wurde, später in die BRD fliegen wollte, dabei erwischt, inhaftiert und von der BRD freigekauft wurde. Hätte sich seine Mutter vorher bemüht, in die BRD zu fliehen, hätte ihr Sohn nicht in den Knast müssen und die BRD hätte sich viel Geld gespart. Aus meiner Sicht hat sie sich der Freiheitsberaubung schuldig gemacht und man hätte ihr den Freikauf in Rechnung stellen müssen.
Ich erinnere mich noch, dass die Sudetendeutschen Tage bis Anfang der 2000er von Revanchismus, Verdrehung der Geschichte und ungerechtfertigten Forderungen dominiert waren, wo ich mich als Jugendlicher habe mitreißen lassen. Und was mir besonders missfällt: Dieses Volk wurde / wird im Freistaat Bayern teilweise als Vierter Stamm bezeichnet. Das ist falsch, weil sich die Menschen assimiliert haben und man keine Unterschiede zur restlichen Bevölkerung bemerkt. Und es widert mich an, wie diese fünfte Kolonne jahrelang von der Bayerischen Staatsregierung hofiert wurde und heute gegen Flüchtlinge gehetzt wird, die für ihr Unglück weitestgehend nichts dafürkönnen.
2018 war ich in Augsburg auf dem Sudetendeutschen Tag und habe mit Freude festgestellt, dass sich einiges geändert hat. Keine Spur mehr von Revanchismus, dafür geschichtliches Gedenken, europäisches Miteinander und der Blick in die Zukunft – und trotz meiner harschen Worte oben, möchte ich jetzt den Fokus darauf legen. Die neuen Generationen in Deutschland und Tschechien – ich sage jetzt einfach mal Menschen unter 80 – sind versöhnlich und brüderlich. Ich hatte in Tschechien nie das Gefühl, dass ich als Deutscher komisch angeschaut wurde und auch die kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen unserer Länder sind so gut wie nie. Bei dieser Geschichte grenzt das an ein Wunder und die Errungenschaften müssen erhalten werden.
Enden möchte ich mit Karel Gotts Version von „Ein Lied kann eine Brücke sein“:
Der Entertainer aus Prag war immer schon ein Brückenbauer und musste in der CSSR deswegen immer einen Spagat wagen. Für die BRD war es eine Ehre, dass er so viel da war, da er als Kind die deutsche Okkupation noch selbst miterlebte. Speziell nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 flohen viele Bürger der Tschechoslowakei in die BRD. Ich bin froh, dass Tschechien heute ein Teil des westlichen Wertesystems wurde und man sich auch in der Slowakei gegen populistische Tendenzen wehrt. Hoffentlich fällt Bratislava nicht zurück in dunkle Zeiten.
Marcel Kunz