„Noch lassen sie ihr Lügen nicht, den großen Mord zu schmücken.“ – Vor genau 500 Jahren, am 1. Juli 1523 kamen im Habsburgerreich die ersten beiden Kämpfer für die Reformation auf dem Scheiterhaufen zu Tode, weil sie von ihrem „neuen Glauben“ nicht ablassen wollten: Es waren die beiden Augustinermönche Hendrik Vos und Johannes van Esschen. Kaiser Karl V. hatte es gutgeheißen, ihr Heimatkloster in Antwerpen einige Monate zuvor dem Erdboden gleichzumachen. Das Todesurteil gegen die beiden Mönche wurde auf dem Marktplatz von Brüssel vollstreckt. Als Martin Luther vom Tod der beiden erfuhr, dichtete er das Lied „Ein neues Lied wir heben an“, aus dem oben genanntes Zitat stammt.
Wenn ich mir überlege, wie das Morden im Krieg gegen die Ukraine derzeit ausgeschmückt wird, wie Kriegsherren sich brüsten, einen Gegner „eliminiert“ zu haben – ein freundlicheres Wort als „erschossen“ – und wie nicht erst seit Donald Trump und Boris Johnson die Lüge wieder salonfähig wurde, dann scheint mir diese Textzeile 500 Jahre nach ihrer Entstehung immer noch oder schon wieder aktuell zu sein.
Ich habe den Eindruck, dass wir gerade in ganz vielen Lebensbereichen den Versuch unternehmen, Probleme durch Sprache zu lösen, indem wir das Grundübel einer Sache verharmlosen, verschwurbeln oder verklausulieren, ohne dadurch wirklich etwas zu verändern, bzw. verändern zu müssen. Und dass – nicht nur im Krieg – sogar auf höchster politischer oder unternehmerischer Ebene dreist gelogen wird – ich denke mal an den Dieselskandal, den Brexit oder was angeblich alles „bio“ oder „öko“ ist.
Der Mut zur Wahrheit und zum klaren Wort hat etwas mit Verantwortung zu tun. Wenn ich die Dinge beim Namen nenne, stehe ich zu einer Entscheidung, die ich getroffen habe, genauso wie zu den Konsequenzen, die daraus entstehen. Hier haben Hendrik Vos und Johannes van Esschen Prinzipientreue bewiesen. Sie zum Schweigen zu bringen, war einfach. Es ist auch heute noch einfach, wenn wir an zahlreiche „Regimekritiker“ denken, die überall auf der Welt weggesperrt oder mundtot gemacht werden.
Für Taten und Entscheidungen aber die moralische Verantwortung zu übernehmen, das scheint in unserer gegenwärtigen Zeit immer weniger eine Tugend zu sein.
Pfr. Stefan Pappelau, St. Maria Göppingen