Ich suche Worte für das Wort zur Woche – dabei sind mir die Worte ausgegangen und ich wünschte es wäre eine Weile ganz still. Wenigstens einen Moment lang sollte es doch still sein, wenn etwas so Schreckliches passiert wie in Illerkirchberg. Eine Schülerin ist tot. Ein anderer, ein Mann, der hier Asyl sucht, hat ihr das Leben genommen. Einfach so, auf dem Schulweg. Warum nur? Ein anderes Mädchen hat den Angriff überlebt – aber wird sie das je verarbeiten können? Wie soll das gehen? Meine Gedanken sind bei den Jugendlichen und bei der Familie, die mitten im Advent am Grab ihres Kindes stehen wird. Bei den Klassenkameraden und Lehrerinnen, die den leeren Stuhl im Klassenzimmer nicht ertragen können. Wenn es doch nur Worte gäbe, die sie trösten könnten.
Aber welche Worte sollten das sein – mir sind sie ausgegangen. Worte enden – deshalb wünschte ich ja es wäre einen Moment ganz still. Zugegeben: die Stille ist kaum auszuhalten.
Wahrscheinlich ist es deshalb gerade gar nicht still – zum Beispiel auf Facebook oder Instagramm: Kommentare, Likes, Schuldzuweisungen. Auch deshalb wäre es besser zu schweigen und die Stille auszuhalten. Das heisst nicht, dass die Ereignisse nicht aufgeklärt werden müssten. Es ist richtig, Fragen zu stellen. Richtig, Konsequenzen zu ziehen und die Schuldfrage zu klären. Aber nicht, um die Stille zu übertönen. Die bleibt. Wir haben keine richtige Antwort auf die Frage „Warum?“. Nichts, was die Familien der Mädchen und die ganze Schulgemeinschaft von Ihrem Schmerz erlösen könnte. Unsere Worte sind dürr und enden.
Um uns herum bleibt die Stille. In sie hinein können wir unsere Fragen schicken: Warum? Warum diese Kinder? Warum die Gewalt? Und in die Stille hinein stammle ich meine Gebete: für die Familie des Mädchens, dem das Leben genommen wurde. Für das Mädchen, das verletzt im Krankenhaus liegt. Für alle, die zu ihnen gehören. Für alle Schüler, die frühmorgens zur Schule gehen. Und für alle, die Angst haben um ihre Kinder und Enkelkinder. Ich stammle meine Gebete für alle, die Angst haben – gerade auch für die, die deshalb aus ihrer Heimat geflohen sind. Manche suchen Asyl bei uns – und müssen jetzt vielleicht Angst haben, dass diese Tat einen Schatten auf sie wirft. Ich hoffe und ich vertraue darauf, dass da einer ist, der meine Fragen und Klagen hört. Der die Angst der Menschen kennt und ihre Traurigkeit.
Den Trubel der Stadt und das Geplärr der Weihnachtslieder mitten im Advent mag ich nicht hören. Trotzig suche ich Trost in den Adventsliedern und leihe mir uralte Worte aus dem Gesangbuch: „Wo bleibst Du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt? O komm, ach komm vom höchsten Saal, komm tröst uns hier im Jammertal.“ (EG 7,4)
Meine Fragen und meine Klagen gebe ich Gott. Andere Worte habe ich nicht. Aber ich hoffe und möchte vertrauen, dass Gottes Worte gelten, wenn meine menschlichen Worte mir im Halse stecken bleiben. Und in der Stille höre ich Gottes Versprechen: „Gott ist nahe denen, die zerbrochenen Herzens sind und hilft denen, die ihren Lebensmut verloren haben.“ (Psalm 34,19)
Schuldekanin Annette Leube