Sonntagsgedanken: „Rabbi, Meister, wo wohnst du?“

Bei manch einer Stadtführung hört man so einen Satz: „Hier ist das Geburtshaus von …“ Eine Stadt schmückt sich gern mit großen Persönlichkeiten. Manchmal werden solche Häuser auch zu Museen umgebaut, in denen man einiges über das Leben und die Lebensleistung eben jener Berühmtheiten erfahren kann.

„Rabbi, Meister, wo wohnst du?“ Das fragen Andreas und ein weiterer Jünger, dessen Name nicht genannt wird, als sie Jesus zum ersten Mal begegnen. Kurz zuvor hatte Johannes der Täufer sie auf Jesus aufmerksam gemacht: „Seht, das Lamm Gottes!“ Unverzüglich waren sie neugierig geworden und Jesus nachgefolgt. Das bemerkt Jesus und fragt sie unverwandt: „Was wollt ihr?“ Ihnen fällt wohl keine passende Antwort ein und so stellen sie eine Gegenfrage: „Rabbi, Meister, wo wohnst du?“ Würden Sie jemandem, den Sie keine halbe Minute kennen, ihre Wohnung zeigen? Wohl kaum. All die Gründe, die uns davon abhielten, scheinen Jesus gar nicht in den Sinn zu kommen: „Kommt und seht!“ Die Beiden gehen mit, sie sehen, wo Jesus wohnt. Sie verbringen jenen Tag bei Jesus. Und sie BLEIBEN.
Der Evangelist Johannes verdichtet diese Begegnung. Kein Wort ist hier zu viel. Vielmehr fehlen unendlich viele Worte, mit denen der Evangelist ausführen könnte, was Andreas und der andere gesehen, gehört und gefühlt haben, als sie dort waren, wo Jesus wohnte. Der Tag, den sie mit Jesus verbracht hatten, veränderte ihr ganzes Leben. Sie beschließen, sich ihm anzuschließen, bei ihm zu BLEIBEN. Andreas will und kann seine Begeisterung nicht für sich behalten – auch sein Bruder Simon soll erfahren, wen er da gefunden hatte: den Messias, den, in dem er den Retter der Welt erkennt.
Die Begeisterungsfähigkeit des Apostels Andreas beeindruckt mich. Für wen würde ich alles stehen und liegen lassen? Für wessen Ideen könnte ich so sehr Feuer und Flamme sein?
Dass Andreas und der Andere sofort begeistert von Jesus waren, ist dem Evangelisten Johannes wichtig, jedoch nicht das Wichtigste. Stroh lässt sich schnell entzünden, doch Strohfeuer brennen bekanntlich nicht lange. Hält die Begeisterung an, wenn das Neue nicht mehr ganz so neu ist? Wenn die Gewöhnung das Außergewöhnliche abschleift, bis es alltäglich erscheint? Die erste Begegnung mit Jesus war für Andreas und den Anderen geprägt durch ihr BLEIBEN. Und darauf kommt es dem Evangelisten Johannes an: Viele lassen sich zwar schnell von Jesus begeistern, doch BLEIBEN sie dann auch bei ihm? Oft irritiert Jesus diejenigen, die ihm nachfolgen. Und manchmal geht er auch Wege, die sie nicht mitgehen wollen. Spätestens unterm Kreuz Jesu – im Aushalten von Leid und Tod – fällt das BLEIBEN unendlich schwer.
„BLEIBT in meiner Liebe!“ (Joh 15,9) Jesus lädt auch uns heute ein, bei ihm zu BLEIBEN. Das muss ich wollen, dafür muss ich mich bewusst entscheiden, immer und immer wieder. Gründe, nicht zu bleiben, gibt es zuhauf: Der Alltag lässt kaum noch Zeit zum Gebet, Schicksalsschläge nähren die Zweifel, das Beispiel anderer Christen stößt ab, die Institution Kirche ist nicht unanfällig und und und… Will ich trotz allem BLEIBEN in der Liebe Gottes? Ja, ich will!

Pastoralreferentin Agnes Steinacker-Hessling, /Wäschenbeuren

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