ver.di Baden-Württemberg zum Tarifergebnis im öffentlichen Dienst – schwieriger Kompromiss in schwierigen Zeiten

Martin Gross, ver.di Landesbezirksleiter: „Den von den Arbeitgebern geforderten tarifpolitischen Richtungswechsel um 180 Grad konnten wir mit diesem schwierigen Kompromiss verhindern. Mit einem Gesamtvolumen von über sieben Prozent haben wir unsere Ziele zwar nicht erreicht, aber immerhin ein Ergebnis erkämpft, das über den Flächentarifverträgen der Privatwirtschaft liegt.

Die starke Streikbewegung der letzten Wochen, trotz massivem Gegenwind, stärkt uns für die bevorstehenden Kämpfe in einem drohenden neoliberalen Jahrzehnt 2.0. Der zusätzliche freie Tag mag vom materiellen Wert her überschaubar sein, symbolisch ist er ein wichtiger Erfolg. In einem Klima, dass von Rufen nach längeren Arbeitszeiten, weniger Entlastung, Abschaffung von Feiertagen bis hin zur Legalisierung von 13-Stundentagen geprägt ist, haben wir mit einem zusätzlichen Urlaubstag für alle einen Kontrapunkt gesetzt. Und allen Arbeitgebern und der Politik klar gemacht: Forderungen nach mehr Arbeit werden auf unseren erbitterten Widerstand treffen. Die Option zur freiwilligen Arbeitszeitverlängerung, mit zusätzlicher Bezahlung und Zuschlägen, ist uns deshalb auch ein echter Dorn im Auge. Gleichwohl sehen wir den konkreten Auswirkungen zwar mit großer Wachsamkeit, aber nicht mit zu großer Sorge entgegen. Im kommunalen Nahverkehr in Baden-Württemberg, wo es eine solche Regelung seit Jahren gibt, hat in den Betrieben jeweils nur eine Handvoll Führungskräfte davon Gebrauch gemacht. Die kommunalen Arbeitgeber seien aber schon jetzt gewarnt: Wer einzelne Beschäftigte unter Druck setzt, ihre Arbeitszeit »freiwillig« zu verlängern, legt sich mit ver.di an. Der Regierungswechsel in der laufenden Tarifrunde hat die Verhandlungen unnötig belastet. Die neue Bundesregierung sollte schnell begreifen, dass sich Probleme durch Ignorieren nicht lösen lassen. Beim Investitionsbedarf in die vernachlässigte Infrastruktur ist diese Erkenntnis nach Jahrzehnten endlich in der Politik angekommen. Wer die Augen vor der erschöpften Personalsituation im öffentlichen Dienst weiter verschließt, wird kein einziges Problem in diesem Land lösen können.“

In Baden-Württemberg sind nach Angaben des KAV insgesamt 385.000 Beschäftigte direkt von den Tarifverhandlungen betroffen. Nach Zahlen des Statistischen Landesamtes am Stichtag 30. Juni 2023 arbeiten davon rund 248.000 Tarifbeschäftigte bei den Kommunen. Rund 67 Prozent der Beschäftigten in den Kommunen (insgesamt inklusive Beamt:innen) sind Frauen, die Teilzeitquote beträgt rund 44 Prozent. Ebenso direkt betroffen sind rund 30.000 Beschäftigte bei den baden-württembergischen Sparkassen sowie Beschäftigte in kommunalen Kliniken, Versorgungsbetrieben und Nahverkehrsunternehmen. Außerdem haben die bundesweiten Verhandlungen unter anderem Auswirkungen auf den Verlauf der Tarifrunde von rund 10.000 Beschäftigten bei der Agentur für Arbeit und über 3.000 Beschäftigten bei der Deutschen Rentenversicherung im Land.

Im Ergebnis soll es für die Beschäftigten ab April 2025 eine Entgelterhöhung von 3,0 Prozent monatlich geben, mindestens aber 110 Euro, wovon insbesondere Menschen aus den unteren Lohngruppen profitieren. Eine weitere Erhöhung um 2,8 Prozent erfolgt ab Mai 2026. Die Laufzeit des Tarifvertrages beträgt 27 Monate, bis zum 31. März 2027. Darüber hinaus steigen die Zulagen für besonders belastende Arbeitszeiten deutlich: von 40 auf 100 Euro monatlich für Schichtdienste, von 105 auf 200 Euro für Wechselschichtdienste, in Krankenhäusern von 155 auf 250 Euro. Alle Zuschläge werden dynamisiert, steigen also bei künftigen Tariferhöhungen prozentual mit. Bei der Arbeitszeit wurde ein zusätzlicher Urlaubstag ab dem Jahr 2027 vereinbart. Daneben verständigten sich die Tarifparteien auf die Einführung eines Langzeitkontos sowie verbesserter Regelungen bei der Gleitzeit. Zudem kann die Jahressonderzahlung (13. Monatsgehalt) künftig in bis zu drei freie Tage umgewandelt werden, um mehr Flexibilität und Zeitsouveränität zu erreichen. Die Jahressonderzahlung wird dafür insgesamt erhöht: bei den kommunalen Arbeitgebern einheitlich auf 85 Prozent, beim Bund auf 75 bis 95 Prozent des Monatsgehalts. Zugleich wurde mit den Arbeitgebern vereinbart, dass es zeitlich befristet freiwillige Erhöhungen der persönlichen Arbeitszeit auf bis zu 42 bezahlte Stunden in der Woche geben kann, mit zusätzlichen Gehaltszuschlägen für die Erhöhungsstunden.

PM  ver.di Landesbezirk Baden-Württemberg

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