„Keiner ist unnütz, er taugt immer noch als gutes Beispiel“, an dieses Zitat müsse er im Zusammenhang mit dem so genannten „Brexit“ oft denken, berichtete der Europaabgeordnete und stellvertretende Präsident des Europäischen Parlaments, Rainer Wieland. Er war am Sonntagmorgen der Einladung des CDU-Gemeindeverbands Deggingen und dessen neuen Vorsitzenden Christian Hagenmaier gefolgt, der gemeinsam mit den weiteren CDU-Verbänden im Täle zu einer europapolitischen Veranstaltung in den Bürgersaal nach Deggingen geladen hatte. Bei einem zünftigen Frühschoppen mit musikalischer Begleitung der Wiesensteiger Straßenmusikanten, sprach der Parlamentarier über das derzeitige Chaos.
Im Hinblick auf den beschlossenen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union bekannt er offen: „Ich weiß auch nicht, wie es ausgehen wird.“ Doch bei allen ungeklärten Fragen um den „no deal, den May deal, eine Verschiebung, ein neues Referendum oder Neuwahlen wird eins deutlich: Die restlichen Mitgliedsstaaten stehen enger zusammen als zuvor“, so Wieland. Deshalb habe das ganze Chaos etwas Positives. Große Sorge bereite ihm und seinen europäischen Kollegen die Irlandfrage. Dennoch zeige der Brexit, dass das Interesse an Europa wieder zunehme und Diskussionen versachliche. „Vor allem junge Menschen sehen die EU positiver als noch vor zehn Jahren. 75 % sind für die EU“, führte der Abgeordnete aus. Er sprach die Verantwortung der Politik auf allen Ebenen an. „Keiner sollte absolute Positionen formulieren. Vielmehr muss immer der Kompromiss gesucht werden“, so Wieland.
Deutliche Worte fand er auch im Hinblick auf EU-Finanzen. „Wir Deutschen zahlen nicht am meisten“, stellte er klar. „Im langjährigen Mittel sind wir bei einem Pro-Kopf-Vergleich auf dem vierten oder fünften Platz. In Baden-Württemberg zahlen wir heruntergerechnet auf jeden Bürger weniger als für den Länderfinanzausgleich.“ Des Weiteren gehe es nicht, mehr zu fordern und weniger zu zahlen – das müsse klar sein.
Wieland warb darüber hinaus für die Stärkung der Wirtschaft und machte Mut, nach vorne zu schauen. „Den Leuten, die meinen in der Vergangenheit liegt die Zukunft, müssen wir uns entgegenstellen.“ In der Flüchtlingsfrage drängte er, sich entwicklungspolitisch stärker in Afrika zu engagieren. „Afrika ist unser Nachbarkontinent und wir haben zu lange weggeschaut!“ Er sprach sich dafür aus, die Außengrenzen zu stärken, eine Registrierung aller – von Touristen, über Geschäftsreisende bis hin zu Flüchtlingen – zu gewährleisten und anstatt Bleibe- von Schutzperspektive zu sprechen. „Denn die Menschen, die auf der Suche nach einem besseren Leben sind, könnten nicht alle dauerhaft in Europa bleiben. Sie werden in ihren Heimatländern gebraucht.“
In seiner angenehm positiven, frei vorgetragenen Rede parierte er mit Detailkenntnissen in verschiedensten Themenbereichen. So diskutierte er in der anschließenden Fragerunde über Niedrigsteuerländer in der EU. Hierbei sprach er sich für gleiche Bemessungsgrundlagen aus, plädierte aber für die Beibehaltung eines gewissen Steuerwettbewerbs, um den Mitgliedsstaaten Handlungsspielräume zu belassen. Im Hinblick auf eine europäische Haftungsgemeinschaft schlug er eine „heilsame Selbstbeschränkung“ vor. Bis zu einer Verschuldung von 60 % des Staatshaushaltes könnten europäische Hilfen greifen. Alles, was darüber liege, müsse von den Mitgliedsstaaten selbst getragen werden. Im Hinblick auf die Reform des Urheberrechts sprach er sich für den so genannten „Upload-Filter“ aus. Jeder müsse von seinem geistigen Eigentum leben können.
In der abschließenden Diskussionsrunde, an der auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Hermann Färber, die CDU-Landtagsabgeordnete Nicole Razavi und der CDU-Kreisvorsitzende Kai Steffen Meier teilnahmen, sprachen sich diese für den Erhalt der beiden Koalitionen auf Bundes- und Landesebene bis 2021 aus. „Wir haben Koalitionsverträge und an diese werden wir uns halten“, bekannten Färber und Razavi. Einig waren sich alle christdemokratischen Volksvertreter, dass ein engerer Kontakt der verschiedenen Ebenen – also Europa, Bund, Land und Kreis – nötig ist, um Argumente auszutauschen, Blickwinkel zu wechseln und gemeinsam gute Lösungen zu finden. Hierfür werden sich alle Anwesende, unter denen auch amtierende Kreis- und Gemeinderäte sowie Kandidaten waren, die am 26. Mai 2019 erstmals zur Kommunalwahl antreten, einsetzen.
PM CDU Gemeindeverband Deggingen