Überregionale Medien zeigen Interesse: Schwäbisch Gmünder Multifunktionsfachkraft wird zum Zeitzeugen einer einst bedeutsamen Glasindustrie

Eine absolut realistische Darstellung, und wie wichtig Zeitzeugen sein können lässt sich an meinem beruflichen Lebenslauf erkennen. Man kennt mich aus anderen Fachbereichen. Denn ich war schon immer besessen – nicht vom damals „aufgedrängten“ Glasmacherberuf, dafür aber von der Seefahrt, dem Kampfsport, der Notfallmedizin und dem Fahrspaß auf zwei Rädern. Glasmacher, Seemann, Rettungsfachkraft, Erfinder, Fachlehrer, Kampfsportler und Dozent in der Gewaltprävention, das sind und waren meine markantesten Aufgabengebiete in 45 Jahren Arbeitsleben. Meinen letzten hauptberuflichen Arbeitsplatz, in der Göppinger Notfallrettung, habe ich 2015 verlassen. Aber wie zuvor in alten Zeiten – ich bin stets aktiv. Doch jetzt erst im Nachhinein, und nach Jahrzehnten, habe ich die spannende und bildende Kunst in der Berufswelt der Glasmacher erkannt. Meine Medienbeiträge haben nun dazu beigetragen, den einst wichtigen Sektor der Glasindustrie wieder ins Bewusstsein der Menschen zu rücken. Ich konnte mein Wissen im Filstalexpress, einem regionalen Buchverlag aus Schwäbisch Gmünd und bei einem öffentlichen Fernsehsender einbringen.

Schwäbisch Gmünd, weit über seine Grenzen als Stadt des Goldes und Silbers bekannt, hatte auch eine beinahe vergessene Glasindustrie. Ich nutzte dies als Anlass, um in einer kleinen Arbeit die Geschichte der einst bedeutenden Glasindustrie Schwäbisch Gmünds in mehreren Artikeln zu beleuchten.

Nach der Veröffentlichung meines Beitrages „Der Glasmacher“ in Filstalexpress und im Gmünder Einhornjahrbuch (Dezember 23) durfte ich noch an einer beeindruckenden SWR-Fernsehproduktion mitwirken. Die Aufnahmen vom 24. Mai 2024 waren Teil einer Ausstellung im „Prediger“, die sich der Glaskunst und der Tradition Schwäbisch Gmünds als Stadt der Glasmacher widmet. Ich hatte die Gelegenheit, an verschiedenen Orten über die historischen Glashütten in Schwäbisch Gmünd und meine persönlichen Erfahrungen als Glasmacher zu sprechen.

Dieser hochinteressante und informative Beitrag ist am 20.6.24 gelaufen. Die vergessene Glasstadt Schwäbisch Gmünd – SWR Aktuell

Ich lebe in der einstigen Glasmacherstadt Schwäbisch Gmünd und habe in den 60 und 70 er Jahren die Tätigkeit des Glasmachens ausgeübt. Nicht ganz freiwillig, aber ich habe es getan. Glasmacher war ein ehrbarerer und gut bezahlter Beruf in dieser Zeit. In zwei großen Glashütten (Graf Schaffgotsch‘sche Josephinenhütte, Wiesenthalhütte) wurde produziert und veredelt. Die Ludwig Breit Wiesenthalhütte, und die WMF als praktische Schulungsstätte waren die Orte meines Wirkens. Auch in der Josephinenhütte (Cäcilienhütte) konnte ich mich noch betätigen. Kaier, Kölbelmacher, Einbläser und Anfänger – das waren meine Tätigkeiten. Produziert wurden in meinem Einsatzbereich das sogenannte Gebrauchs-, bzw. Hohlglas, Lampenschirme, Bodenvasen, und gelegentlich auch Fenster-Farbglas für Kirchen.

Auffällig, und für mich als damals „Halbstarken“ eher gewöhnungsbedürftig, war der Sachverhalt, dass sich unter den Glasmachern, gleich früh am Morgen und während der Arbeit, Gesangsgruppen bildeten:

Ein Glasmacherleben, das heißt ja früh aufstehen …
wenn die Anderen schlafen, müssen wir schon schaffen,
am Hebertrog stehen und Glas umdrehen.

So lautete der Anfang vom Liedtext, nahezu täglich, und nicht zu überhören. Und nachts, wenn alles schläft, mussten andere schon bei der Arbeit sein, die Glasschmelzer (Einleger), die das zuvor zubereitete Gemenge, das aus Quarzsand, Pottasche, Kalk und weiteren Rohstoffen gemischt wurde, bei 1200 Grad im „Glashafen“ auf dem Ofen einschmelzen.

Mein erster Tag in der Glashütte – und pünktlich um fünf Uhr begann die Arbeit der Werkstattteams. Ein Team setzte sich jeweils aus Meister, Formenhalter, Kölbelmacher, Gehilfe (Einbläser), Kaier und Einträger zusammen. In der Hierarchie ganz oben ist der Meister, der unten auf seiner Werkbank sitzt und dem vom Kölbelmacher und Einbläser gefertigten und noch heißen Oberteil-Rohling (Kuppa) mit dem vom Kaier herbeigebrachten Glas den Stiel nebst Boden verpasst.

Meine Aufgabe als Berufsanfänger und Einträger bestand nun darin, das zur Weiterbearbeitung bestimmte Glas mit einer speziellen Vorrichtung zum Kühlband zu bringen. Und das in einem Laufschritt, der es in sich hatte, denn das nächste Produkt musste sofort nach Fertigung aus Meisters Hand zum Band. So ging das nun, ohne Unterbrechung, und immer bis 14.00 Uhr.

Neue Anfänger-Aufgaben kamen auf mich zu. Die Holzformen, in die vom Einbläser die noch verformbare heiße Glasmasse eingelassen (eingeblasen) wurde, mussten von Hand bedient (geschlossen) werden. Als Berufsanfänger, in jungen Jahren, war man oftmals „müde“. Kurz nicht aufgepasst und der Glasrohling war zwischen den Formenhälften eingeklemmt. Das bedeutet im Klartext, die Vorarbeit von Kölbelmacher und Einbläser waren wertlos, denn statt einem fertigen Glas oder einer Vase wurde Ausschuss produziert. Wenn sich solche Zwischenfälle häuften, weil man nach einer fröhlichen Kneipentour am frühen Morgen bei der Arbeit mal wieder eingeschlafen war und den Glaskörper eingeklemmt hatte, kam es schon mal vor, dass man vom Glasmacher, der über einem auf einer Bühne stand, einen „Stupser“ von seinen Holzschuhen bekam.

Die berufliche Weiterentwicklung führte schrittweise zum Kaier, Kölbelmacher und Einbläser. Berufsschulunterricht war in einer speziellen Glasmacherklasse, in der alten Berufsschule am Göppinger Nordring. Die technische Ausbildung wurde in der WMF-eigenen Glashütte in Geislingen, und in Form von regelmäßigem Werkstattunterricht praktiziert.

Es folgte eine betriebsinterne Spezialisierung, auf einer sogenannten Großzeugwerkstätte in der Wiesenthalhütte. Bodenvasen, Lampenschirme und weitere Produkte in Großformat für zahlungskräftige Kunden dieser Welt wurden hier gefertigt. Diese Arbeit war anspruchsvoll und anstrengend, doch ich hatte gute Lehrer.

Nach einigen Jahren habe ich diese Tätigkeit beendet, denn ein aufkommendes Fernweh und Abenteuerlust führten mich zur Seefahrt und weiteren Berufsausübungen.

Erst im Nachhinein, und nach Jahrzehnten, erkenne ich die bildende Kunst in der Glasmacherei. Insbesondere auch in der gelegentlichen Musterfertigung von Buntglas für Kirchenfenster, aber auch die Herstellung von großen Einzelstücken (Lampenschirme, Vasen) erforderte schon ein hohes manuelles und künstlerisches Geschick in der Umsetzung. Gerne würde ich nochmal den typischen Geruch der Holzformen beim Fertigen (Einblasen) des Glases riechen.

Doch die letzten Glashütten in der Umgebung sind längst stillgelegt, Schwäbisch Gmünd, Wiesensteig, Dürnau, Geislingen. Auch im bayerischen Wald, so z.B. in Frauenau, wo das Glasmacherhandwerk eine ganz besondere Tradition hat, wurde eine der letzten Glashütten im November 2021 stillgelegt.

Alfrd Brandner

Permanentlink zu diesem Beitrag: https://filstalexpress.de/lokalnachrichten/172501/

Schreibe einen Kommentar