Kinder verletzen sich schnell. Sie fallen vom Fahrrad und schürfen sich auf. Sie schneiden sich mit einem scharfen Gegenstand oder sie verbrennen sich die Finger. Immer reagieren wir darauf, indem wir ihre Wunden versorgen. Schneidet sich meine Tochter, holt sie sofort ein Pflaster und klebt es drauf. Schon kleine Kinder haben gelernt, dass körperliche Verletzungen schnell behandelt werden müssen.
Bei seelischen Verletzungen ist es nicht so. Da reagieren wir ganz anders. Die wenigsten kämen auf die Idee, eine seelische Verletzung, schnell zu versorgen. Wir scheinen zu glauben, dass man seelische Kränkungen eigentlich nicht wirksam behandeln kann. Geschweige denn, dass unsere Kinder bei seelischen Verletzungen „Erste Hilfe“ gelernt haben. Irgendwie scheinen wir das Körperliche wichtiger zu nehmen, als das Seelische.
Jesus heilte körperliches und seelisches Leid. Als er eines Tages einen Blinden heilte und hörte, dass der nun körperlich geheilte von den Pharisäern ausgestoßen wurde, suchte er ihn auf und heilte seine seelischen Wunden. Er heilte seine, durch Zurückweisung und Ablehnung geschlagenen Wunden. Er heilte sie durch liebevolle Zuwendung.
Zurückweisung und Ausgrenzung sind seelische Verletzungen, die auch heute, genau wie damals, immer wieder geschehen. Sei es in Beziehungen oder im Beruf. Das kann von Nichtbeachtung bis hin zu Ablehnung und offener Missachtung reichen. Von Absagen bei einer Bewerbung, bis hin zur Entlassung. Von der Erfahrung, dass andere keine Zeit für einen haben, bis dahin, dass sie einen nicht ernst nehmen.
Das besondere Problem bei seelischen Verletzungen ist, dass wir selbst, durch Grübeln und aufzählen von eigenen Schwächen und Fehlern, die Verletzung noch verstärken.
Wenn ich als Kind bei der Bildung von Mannschaften als letzter ausgewählt wurde, musste ich der Versuchung widerstehen, mir wieder und wieder Gedanken zu machen, was ich falsch gemacht habe und vermeiden, mir zu sagen, dass die anderen mich nicht mögen.
Wenn heute andere auf meine Post nicht reagieren, muss ich der Versuchung widerstehen, das persönlich zu nehmen.
Wenn andere meine Qualitäten, meine Freundschaft, meine Arbeit, meine Beiträge nicht beachten, dann muss ich mir einige meiner Fähigkeiten vergegenwärtigen; muss mir sagen, dass ich zuverlässig bin oder, dass ich ein guter Zuhörer bin.
Wenn ich als Vater oder Mutter bei meinen Kindern merke, dass sie von ihren „Freunden“ zurückgewiesen werden, muss ich dafür sorgen, dass sie andere Freunde finden.
Lernen wir, nicht nur bei körperlichen Verletzungen mit heilsamen ersten Hilfsmaßnahmen zu reagieren, sondern ebenso bei seelischen Verletzungen. Sich selbst die Schuld an seelischen Verletzungen zu geben, ist keine gute erste Reaktion. Vielmehr ist liebevolle Zuwendung angesagt.
Josef Priel
Westerheim