Neulich, um vier Uhr morgens: Das Handy klingelt penetrant und reißt mich unsanft aus dem Tiefschlaf. Als Notfallseelsorger werde ich zu einer verzweifelten Frau gerufen, deren Sohn sich gerade das Leben genommen hat. Der junge Mann ist einer von etwa zehntausend Menschen, die sich pro Jahr in Deutschland für diesen endgültigen Schritt entscheiden. Eine erschreckende Zahl für ein Land, das von einer blühenden Wirtschaft und von stetig wachsendem Wohlstand gekennzeichnet ist.
Viele Gedanken schießen mir nach dem Einsatz durch den Kopf: Was hat diesen jungen Menschen dazu bewogen? Versagensängste, eine Beziehungskrise…? Gibt es irgendetwas, das auf lange Sicht vor dem Unglücklichsein bewahren kann?
„Ja!“, behaupten Forscher der angesehenen Harvard Universität. Deren Wissenschaftler haben unlängst eine Langzeitstudie veröffentlicht, die sich über einen Zeitraum von sage und schreibe 75 Jahren erstreckte. Die Untersuchungen haben zu Tage gefördert, dass es tatsächlich etwas gibt, was uns glücklich machen kann – und das ist einzig und allein eine echte und tiefe Bindung zu unseren Mitmenschen!
Das klingt simpel, ist es aber nicht. Zwischenmenschliche Beziehungen sind oft kompliziert und problematisch, selbst dann, wenn es nicht am guten Willen fehlt. Sogar Jesus wurde zeit seines Lebens in heftige Konflikte verwickelt, am Ende angeklagt und zum Tode verurteilt. Ich bin mir ziemlich sicher: Christ-zu-sein bewahrt uns nicht zwangsläufig vor Auseinandersetzungen oder vor dem endgültigen „Aus“ einer Beziehung, aber der Glaube an den barmherzigen Vater im Himmel kann uns dabei helfen, nach jedem Scheitern wieder einen Neuanfang zu wagen, anstatt ins Bodenlose zu fallen.
Was die Wissenschaft als „Glücksformel“ bezeichnet, das bestätigt Jesus in seinen Gleichnissen, doch er verkündet eine weitaus umfassendere Dimension des Glücks: Dazu gehört auch eine gelungene Beziehung zu Gott. Wie Jesus im Gleichnis vom verlorenen Sohn erzählt (Lk 15, 11-32), sehnt sich Gott nach einer echten und tiefen Beziehung zu uns und er will uns mit offenen Armen entgegengehen, wenn wir seine Nähe suchen. Regelmäßige Rituale, wie zum Beispiel ein persönliches Gebet oder ein Gottesdienstbesuch sorgen dafür, dass die Beziehung „nach oben“ erhalten bleibt und aufblühen kann.
Die Fastenzeit bietet eine gute Möglichkeit inne zu halten, um unsere vielfältigen Beziehungen zu Gott und den Menschen neu zu überdenken. Nehmen sie sich einen Augenblick Zeit für die nachfolgenden Fragen:
Wie wertschätzend bin ich mir selbst und anderen gegenüber? Wer würde sich heute über einen einen Anruf oder Besuch von mir freuen? Mit welchen Ritualen pflege ich meine Beziehung zu Gott?
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Fastenzeit.
Info zur Studie: Was machen glückliche Menschen anders als andere? Die Grant-Studie versucht diese Frage zu beantworten. 268 Harvard-Absolventen, Jahrgang 1910 aufwärts, wurden vom Studium bis zum Ruhestand begleitet. Zu den Teilnehmern zählten der spätere Präsident John F. Kennedy und Theodore Kaczynski, der Unabomber.
Eckhard Schöffel
Katholischer Diakon und Religionspädagoge in der Seelsorgeeinheit „Lebendiges Wasser“ (Jebenhausen, Faurndau, Bezgenriet mit Hattenhofen). Notfallseelsorger im Landkreis Göppingen seit 14 Jahren.