Bevor ich mich für die heutigen Sonntagsgedanken eingetragen habe, gab es auch bei mir einen Moment des Zögerns. Ich spürte, dass ich für ein authentisches Schreiben nochmals auf die Suche gehen muss.
Natürlich habe ich die theologischen Inhalte der beiden Festgeheimnisse verinnerlicht und mir ist fachlich klar, was da zu schreiben ist. Offen bleibt aber, ob der gesetzte Inhalt noch mit den Erfahrungen meiner religiösen Biografie im Einklang sind und an welchen Punkten es einer Erweiterung bedarf, um spirituelles Berührtsein zu spüren.
Für die Grundaussagen zu Allerheiligen habe ich klassisch das Lexikon für Theologie und Kirche bemüht. Dort ist, von einem Fest aller in Christus Vollendeten zu lesen, die im Himmlischen Jerusalem, Gott außerhalb der Zeit, also in Ewigkeit, loben. Der Kreis ist nicht geschlossen, sondern bezieht auch die Vollendeten ein, deren offizielle Anerkennung (Kanonisierung) durch die Amtskirche noch nicht erfolgte.
Für mich heißt das: Gott kennt auch Heiligkeit, die auf Erden nicht immer in den Blick kommt oder gefeiert wird. Ein an den Evangelien wie am Vorbild Jesu Christi ausgerichtetes Leben kann sich – bei allen Höhen und Tiefen – zu einem gelingenden Lebensentwurf entfalten und die Dimension „Heiligkeit“ auch schon im Hier und Jetzt aufscheinen lassen. Es gibt sie, die alltäglich verlässlich im Kleinen gegebene Chance auf „Heiligkeit“. Sie ist Aufforderung an mich und durch mich auch Hilfe und Stärkung für andere. Dafür bitte ich gerne um Gottes Beistand am Fest Allerheiligen.
Allerseelen, jährlich wiederkehrender Gedenktag aller Verstorbenen – so lese ich wieder im Lexikon – mit der Intention, den Verstorbenen mittels Gebet, Weihwasser und Licht zur endgültigen Erlösung zu verhelfen.
Das Bild „der armen Seelen im Fegefeuer“ ist mir in meiner Kindheit nachhaltig begegnet. Damit einher gingen religiöse Praktiken, um von der Erde aus die endgültige Erlösung einzelner Verstorbener „zu befeuern“. Für Verstorbene immer wieder liebevoll zu beten, das hat für mich Sinn, das eine oder andere darüber hinaus befremdet mich mittlerweile.
Der Kreis deren, die ich am Allerseelentag vor Gottes Angesicht „trage“, ist überschaubar. Aber es gibt für mich weitere „arme Seelen“ mitten im Leben. Das sind individuelle Lebensschicksale, um die ich weiß, die ich erahne, die mir zugetragen werden – Seelen zerrissen, nicht heil und somit aktuell „arm“.
Lebensbiografien, die sich – unverschuldet oder durch eigenes Handeln – als kantig, schwergängig, vielleicht sogar scheinbar gottfern ereignen. Gerade auch für diese Menschen möchte ich an Allerseelen um göttliche Hilfe für diesseitige Momente der Vollendung beten.
Helmut G. Bertling
Kath. Schuldekan