Sonntagsgedanken: „Nächster sein“ zum Selberlernen

Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, Evangelium des kommenden Sonntags, ist einer der bekanntesten Texte des Neues Testaments. Würde man herumfragen, worin es darum geht, wäre eine häufige Antwort vermutlich: Es geht um die Frage „Wer ist mein Nächster?“

Das ist richtig, aber nicht alles. Denn die Frage „Wer ist mein Nächster?“ wird eingerahmt von anderen Fragen, die als Musteranleitung für Persönlichkeitsentwicklung gelesen werden können.

Der Gesetzeslehrer fragt als Erstes: „Was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben?“ Es geht also ums Handeln: Er fragt, was zu tun ist, und zwar von ihm selbst, und damit ist er schon auf der richtigen Spur. Aber er ist noch nicht am Ziel. Und von seiner Spur wird er erst einmal wieder abkommen. Denn als Jesus mit der Gegenfrage nach den Anweisungen der Tora antwortet, führt der Gesetzeslehrer zwar richtigerweise das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe an. Aber dann fragt er: „Und wer ist mein Nächster?“. Er wechselt, man merkt es kaum, die Blickrichtung von der Handlungsaufforderung an ihn selbst hin zur Beurteilung seiner Umwelt.

Jesus beantwortet diese Frage mit dem Gleichnis des Samariters, der dem überfallenen Mann als einziger hilft. Und dann fragt Jesus: „Wer ist dem zum Nächsten geworden, der von den Räubern überfallen wurde?“ Er dreht die Frage des Gesetzeslehrers „Wer ist für mich der Nächste?“ um in „Wem wirst du zum Nächsten?“ Damit ist er wieder zu der Ausgangsfrage zurückgekehrt, die ja so begann: „Was muss ich (persönlich) tun …?“

Allerdings geht es bei der neuen Frage nun nicht mehr um den persönlichen Gewinn (des ewigen Lebens), sondern um die Übernahme einer sinnvollen Aufgabe im Hinblick auf andere: „Wer ist dem zum Nächsten geworden, der Hilfe brauchte?“

Der Gesetzeslehrer reagiert sofort, die Antwort liegt auf der Hand. Aus dem ziellosen Nachdenken, wer denn nun der Nächste sein könnte, wurde ein produktiver und sinnstiftender Handlungsimpuls.

Vom „Was kann ich für mich tun?“ über „Wer sind die anderen für mich?“ zu „Wer will ich für die anderen sein?“ Das ist eine Veränderung der Fragestellung, die zu einem für beide Seiten lebensfreundlichen Handeln führt.

Wenn das richtige Handeln schwierig ist, hilft es manchmal, sich die Frage, an der man kaut, noch einmal ein bisschen anders zu stellen. Die Wendung des Blicks hin zu unserer Aufgabe führt zu einer klaren Antwort und man hat sich selbst „gecoacht“: „Nächster sein“ zum Selberlernen.

Dr. Frank Suppanz, Kath. Erwachsenenbildung Kreis Göppingen e.V.

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