Sonntagsgedanken: „Zeit haben“ weitet den Blick – äußerlich wie innerlich.

Es ist Montagmorgen in der ersten Ferienwoche. Ich fahre, wie fast jeden Tag, über die Seewiesenbrücke in Heidenheim. Etwas gelassener wie sonst, denn der Tag ist nicht termingefüllt – Urlaubszeit eben. Als ich über die Brücke gleite, fällt mir das mit Blumenkästen geschmückte Geländer auf: volle blühende Farbenpracht, ein Blumenkasten schöner wie der andere – fast wie gemalt. Ich sehe sie natürlich sonst auch, wenn ich auf den Verkehrsfluss achte. Heute aber nehme ich die Blütenpracht innerlich wahr. Mir kommt sogar das Gesicht der städtischen Mitarbeiterin, die ich über Jahre immer wieder bei Verschönerungen im Stadtgebiet sehe. Danke für dieses morgentliche Brücken-Blumenpracht-Geschenk an die für mich „Namenlose“ und ihr Team. „Zeit haben“ weitet den Blick – äußerlich wie innerlich.

Kurzfristig entfällt ein Nachmittagstermin – Überstundenabbau entscheide ich. Somit steht der Hundespaziergang früher und mit mehr Zeit an. Einmal wieder dort laufen, wo wir nicht regelmäßig unterwegs sind – die ganz andere Route. Die Route ist bald im Kopf geplant und ich merke am Tempo meines Hundes, dass wir noch nicht hier waren. Chiara schnüffelt vielfältig, geht vor, zur Seite, wieder zurück – hündische „Zeitungslektüre“ eben. Wir kommen nur mäßig voran, was ich sonst gar nicht schätze, denn es gibt an den meisten Tagen auch für den Dogwalk ein Zeitfenster. Als ich frage „Was riechst du denn da, Chiara?“ reagiert diese mit Schwanzwedeln samt Blickkontakt. „Ich rieche leider nichts!“ schmunzele ich – aber mein Hund fühlt, dass Entspannung in der Waldluft liegt. Und so schaue ich heute hin, wenn Chiara meint, da gibt es was für uns zu entdecken. „Zeit haben“ weitet den Blick – äußerlich wie innerlich.

Heute einmal pünktlich Mittagessen: Ich habe gewählt, steh in der Schlange und Bezahlstau. Ein Leberkäswecken, ohne Bargeld nur mit EC-Karte, die nicht funktioniert und Raunen entsteht in der Schlange. Muss das sein, denke auch ich, fühle aber zugleich, dass ich heute doch eigentlich mehr Zeit fürs Essen habe. Der Leberkäswecken-Käufer versucht es weiter und die Kassiererin schaut eher angespannt lächelnd in die Schlange, wo sich unsere Blicke treffen. „Etwas stressig gerade?“ stelle ich freundlich fest. „Und wie – die Technik mal wieder!“ reagiert sie lächelnd. „Und Sie lächeln trotz allem!“ entgegne ich und hebe dabei sichtbar meinen Daumen. Ihr Lächeln zieht sich über das gesamte Gesicht und ich muss ebenfalls noch lächeln, während ich esse. „Zeit haben“ weitet den Blick – äußerlich wie innerlich.

Gefühlt bin ich „ein halbes Leben“ an der am Straßenrand gelegenen St. Leonhardskapelle mit der Eremitage vorbeigefahren – wollte immer wieder mal Halt machen. Warum ich es nicht getan habe: Es fehlte gefühlt an der nötigen Zeit wie meinem Wollen. Nun sitze ich in dem kühlen Sakralraum mittig unter dem Deckengemälde und schaue auf den heiligen Leonhard, den Patron der Gefangenen und der Landwirtschaft. Ich werde innerlich, meine Gedanken schweifen und ich bleibe hängen bei all den „Gefangenschaften rund um die Zeit“ im Heute.

Ich wünsche Ihnen GOTTbehütete erfüllende Ferien-, Urlaubs-, Sommer-Momente und vielleicht hilft dabei: „Zeit haben“ weitet den Blick – äußerlich wie innerlich!

 

Helmut G. Bertling, Katholischer Schuldekan, Heidenheim

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