„Es ist ein Weinen in der Welt“: Die Zeile aus einem Gedicht der jüdischen Schriftstellerin Else Lasker-Schüler passt gut zum Totensonntag. In den evangelischen Gottesdiensten wird morgen derer gedacht, die im zu Ende gehenden Kirchenjahr verstorben sind. Viele der Angehörigen werden aber auch sagen können: „Danke für all die gemeinsamen Jahre, für die Zeit, die wir in Frieden und Freiheit miteinander erleben durften.“
Der Tod im hohen Alter ist ein Geschenk. Wie anders ist der Tod durch Gewalttat. Die Bilder von dem Massaker, das die Hamas-Terroristen am 7.10. in Israel angerichtet haben, sind so grauenhaft, dass sie der Öffentlichkeit nicht gezeigt werden können. Wie unvorstellbar furchtbar muss das für die Angehörigen sein, die sich immer und immer wieder die letzten Minuten ihrer Lieben vorstellen: „Es ist ein Weinen in der Welt!“ Auch bei uns in Deutschland: Wie frohgestimmt haben wir vor 2 Jahren das Gedenkjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ mit vielen Festveranstaltungen begangen. Wie oft wurde der Dank ausgedrückt, dass heute nach den Schrecken der Shoah jüdische Menschen doch wieder so viel Vertrauen haben, dass sie in Deutschland leben. Und jetzt dieser erschreckende Offenbarungseid: Auch auf deutschen Straßen ganz offener Judenhass, ganz zu schweigen von Judenhass im Netz. Juden müssen nun auch bei uns wieder ihr Judensein verstecken. Viele tragen in der Öffentlichkeit keine Kippa, viele verzichten darauf einen Davidsstern als Schmuck zu tragen, viele fürchten sich auf unseren Straßen hebräisch zu sprechen. Es ist ein Weinen in der Welt, auch ein Weinen in Deutschland unter allen, die gehofft haben, dass Juden, ob sie religiös sind oder säkular bei uns gut leben können. Was können wir tun: Wir können uns informieren, indem wir jüdische Stimmen aus Israel und Deutschland hören, wir können den vielen Vorurteilen gegenüber Israel Fakten entgegensetzen, wir können antijüdische Bilder und Sprechweisen entlarven, wir können für die Traumatisierten in Israel spenden. Wir können mit Juden in Israel, bei uns und in aller Welt trauern, gerade morgen, wenn wir unserer Toten gedenken, denen in der Regel ein langes Leben beschieden war. „Es ist ein Weinen in der Welt…“
Pfarrer Markus Herb (Pfarrer in der Kirchengemeinde Bartenbach-Rechberghausen)