Sonntagsgedanken: ich bin so frei

Ich liebe Innovation. Gerade deshalb liebe ich auch die Tradition. Nicht Tradition im Sinne von „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Aber Tradition im Sinne von alten Schätzen.

Die kirchliche Tradition hält viele Schätze bereit: jahrhundertealte, faszinierende, durchbetete Kirchen, kraftvolle Symbole, herzanrührende Texte, glaubensformende Übungen, biblische Schriften, die Leben verändern und Hoffnung wecken.

Unsere Welt verändert sich mit wachsender Geschwindigkeit. Raketenschnell entfernt sich unsere Lebenswirklichkeit von der Lebenswirklichkeit früherer Jahrhunderte. Nicht nur global, auch im konkreten Alltag: ein Kind, das geboren wird; erwachsene Kinder, die das Haus verlassen; ein Dachgeschoss, das ausgebaut oder ein Schuppen, der abgebrochen wird. Bedrohliche Abschiede auf Zeit oder für immer.

Genau aus diesem Grund brauchen wir beides: Erneuerung und Innovation! Innovation ist das notwendige Bindeglied zwischen Traditionen und der aktuellen, sich rasant entwickelnden Wirklichkeit. Mit dem Neuen Schritt zu halten kostet Kraft, aber es eröffnet auch Freiräume. Erneuerung ist eine schöne Übersetzung für das lateinische Wort „Reformation“.

„Zur Freiheit hat euch Christus befreit“. Der protestantische Reformationstag und der katholische St. Martinstag gehören zusammen. Martin Luther hat die Not gewendet und neue Formen für den alten Schatz des Glaubens gesucht. Und dabei die innere Freiheit wieder entdeckt. St. Martin, sein Namenspatron, hat als Offizier den alten Auftrag eines Soldaten, nämlich Leben zu schützen, innovativ umgesetzt. St. Martin, so will es die Legende, nahm den Kampf gegen Kälte und Armut auf, indem er seinen Soldatenmantel mit dem Bettler teilte. Das war so nicht vorgesehen. Das sorgte für Aufsehen. Aber Martin war so frei, weil er gespürt hat, dass das jetzt die Not wendet. Bis heute erinnern sich Kleine und Große daran beim „Martinsumzug“.

Diese Kraft, die Neues schafft, ist Gottes Geist, der seinem Wesen nach schöpferisch ist, der immer wieder Altes nimmt und daraus Neues schafft ohne das Alte einfach abzuschaffen. Für diesen Geist offen zu sein, das wünsche ich uns, und einen frohen Reformationstag!

 

Johannes Stahl, Pfarrer

 

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