Sonntagsgedanken: Einer hat uns angesteckt

„Einer hat uns angesteckt mit der Flamme der Liebe; einer hat uns aufgeweckt und das Feuer brennt hell…“ Das ist der Refrain eines Lieds aus der christlichen Pop-Musik. Vor Jahren zählte es in der Jugendarbeit des CVJM Faurndau sozusagen zu den den „Top Ten“. Bei Kinderbibeltagen, Jugendgottesdiensten, an Lagerfeuern – da fuhr dieser Song mit seinem mitreißenden Groove in Herz und Glieder. Vom Corona-Virus wußte man noch nichts, sonst wäre ein Witzbold mit Sicherheit auf die sarkastische Idee gekommen, das Lied in „Corona-Lied“ umzubenennen. Einer hat uns angesteckt.   Es gibt abseits der lauernden Corona-Gefahren Gott sei Dank noch andre Arten von Ansteckungen. Das Lied singt von der Ansteckung durch den Geist Jesu. Wer von diesem Geist angesteckt ist, gerät in schwungvolle Bewegung, ja sogar in „flammende Begeisterung“ für Gemeinschaftsleben und Nächstenliebe.

Vom erstaunlichen Wirken dieses Geistes erzählt die Pfingstgeschichte des Evangelisten Lukas. „Der gekreuzigte Jesus hat Haß, Gewalt und Tod überwunden“, verkündeten die Jesusjünger sieben Wochen nach Ostern in aller Öffentlichkeit , „er lebt, wir spüren seine Kraft. Vertraut euch seiner Liebe an! Ihr bekommt Anteil an der neuen Welt Gottes, wo Glaube, Hoffnung, Liebe regieren“. Diese Predigt war so ansteckend, daß sich Unzählige taufen ließen. Es entstand die erste christliche Gemeinde in Jerusalem. Es war ein Wunder: Menschen unterschiedlicher Sprachen aus unterschiedlichen Nationen verstanden sich. Bei den täglichen Andachten und Mahlfeiern erfuhren sie die Gegenwart ihres Herrn. Sie gaben ihr Privateigentum auf und teilten alles. Jeder gab, was er hatte. Jeder bekam, was er brauchte. Sie kümmerten sich um Arme und Kranke. Ein tolles, ausstrahlendes Gemeinschaftsleben. Wie ein Virus breitete sich die Botschaft aus. Die Gemeinde wuchs und wuchs. Sie waren angesteckt vom Geist Jesu, von der Flamme der Liebe. Sicher, Lukas malt uns ein Idealbild vor die Augen. So sollte es eigentlich sein, meint er. In Wirklichkeit hat sich abgesehen von den christlichen Kommunitäten dieses Idealbild nicht halten können. Das natürliche Ego erwies sich auch bei den Christen als zäh und resistent. Der Liebeskommunismus der ersten Gemeinde bloß eine Utopie? Schon, aber nicht nur! Es kann ja sein, dass ein Funke dieses Gemeinschaftsgeistes in uns hineinfällt, uns „infiziert“. Dann sehen wir zum Beispiel, wie ungleich die Lasten der gegenwärtigen Corona-Krise verteilt sind. Die einen bangen um ihre Arbeitsplätze und ihre Existenzen – wir anderen erfreuen uns unbeschadet der Krise unserer gesicherten Einkommen. Die Spaltung der Gesellschaft zwischen Habenden und Habenichtsen droht größer zu werden. Wie schön wäre es da, wenn etwas von diesem pfingstlichen Geist unsere Herzen öffnen und unsere Phantasie beflügeln würde! Es muß ja nicht gleich Kommunismus sein. Aber etwas mehr Solidarität, Geschwisterlichkeit, Bereitschaft zum Teilen – das wäre wunderbar! So bitten wir an Pfingsten: Komm, Heiliger Geist, und entzünde in uns die Flamme deiner Liebe!

Pfarrer i.R. Walter Scheck, Göppingen,

 

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