Der diesjährige 1. Mai als der Tag der Arbeit, der nächste Woche begangen wird, wurde von den DGB-Gewerkschaften unter das Motto „Solidarisch ist man nicht allein“ gestellt. Viele Menschen haben das die letzten Wochen auf berührende Weise unmittelbar erfahren. An vielen Stellen erwachen neue Formen der Solidarität, wie Nachbarschaftshilfen und Einkaufsgemeinschaften.
Gerne wären die Kirchen mit den Gewerkschaften solidarisch wieder zum 1. Mai auf die Straße gegangen, für ein Mehr an Solidarität und Gerechtigkeit in Arbeitswelt und Gesellschaft. Aber zum ersten Mal seit 1949 wird es keine Kundgebungen zum Tag der Arbeit geben; denn in Zeiten von Corona heißt Solidarität auch räumlichen Abstand halten.
Vielen wird in diesen Wochen außergewöhnliches abverlangt. Die Zahl der Menschen in Kurzarbeit ist rasant gestiegen, manche abgefedert durch eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes durch ihre Arbeitgeber. Anderen droht die Entlassung oder sind bereits entlassen und stehen vor einer ungewissen Zukunft. Es zeigt sich einmal mehr, wie wichtig starke Gewerkschaften, engagierte Betriebs- und Personalratsgremien und verantwortliche Sozialpartner sind, die – gemeinsam mit Arbeitgebern – durch Instrumente wie das Kurzarbeitergeld, tarifliche Vereinbarungen oder umsichtige Betriebsvereinbarungen dafür sorgen, dass möglichst wenig Menschen sprichwörtlich unter die Räder kommen.
Wertschätzung und Dank erfahren derzeit besonders die Beschäftigten im Pflege- und Gesundheitsbereich, im Transportwesen und der Logistik, im Verkauf und Handel. Sie sorgen mit vielen anderen dafür, dass Grundbedürfnisse befriedigt werden können und erkrankte Menschen gepflegt und behandelt werden. Nachdenklich macht dabei aber schon, dass es erst einer Krise wie die der Corona-Pandemie bedarf, um in dieser Breite auf die „Systemrelevanz“ der Kolleginnen und Kollegen aufmerksam zu werden.
Hier rücken die menschliche Arbeit und die Bedeutung jeder einzelnen Arbeit in den Blick und gibt uns als Gesellschaft und als einzelne die Chance, neu zu bedenken und zu überdenken, was Entlohnung, Arbeitsbedingungen und Anerkennung menschlicher Arbeit betrifft. „Solidarisch ist man nicht allein“, das gilt eben auch mit Blick auf Beschäftigung, Entlohnung, Wertschätzung, hier in Europa und auf der ganzen Welt, gleichsam grenzenlos, wie auch der Virus keine Grenzen kennt. Und es gilt auch für Berufsgruppen, die derzeit nicht im Fokus der Wertschätzung stehen.
Im morgigen Sonntagsevangelium nach Johannes (21,1-14) geht es um den bekannten Fischfang und um die Situation, dass auf das Wort Jesu hin „Werft aus und ihr werdet etwas finden“ im Überfluss Fische in den Netzen gefangen werden und die Fischer Jesus erkennen. Hier stellt sich für mich auch die Frage: Auf wen oder was hören wir, nehmen wir Jesus in unserer konkreten Welt wahr – und wie? Nehmen wir ihn im Ruf der anderen wahr? Richte ich den Blick auf sie? Solidarität – auch ein Zeichen gelebter Nächstenliebe, auch eine Antwort auf seinen Ruf. Und vielleicht sind solidarische Momente auch Situationen, in denen gespürt werden kann: Ich bin gehalten und getragen. Mein Leben ist nicht bedeutungslos. Ich bin hineingenommen in etwas Größeres.
Kommen Sie gut durch diese Zeit, bleiben Sie solidarisch untereinander und im Gebet miteinander verbunden.
Norbert Köngeter, Stadtdiakon und Betriebsseelsorger, Katholische Kirche Göppingen