Alfred Brandner: Einsatzfahrt mit Folgen – ich habe dem Tod in die Augen gesehen

Wenn Fahrzeuge von Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) zu einem Einsatz ausrücken, dann geht es fast immer um einen Wettlauf mit der Zeit. Gelegentlich scheint es erstaunlich, mit was für einer Geschwindigkeit diverse Einsatzfahrzeuge selbst in eindeutig gekennzeichneten, und gut erkennbaren Risiko – Bereichen operieren.(Kliniken, Altersheimen, Institutionen für Hörgeschädigte, Schulen, Kindergärten) Und oftmals wird anscheinend nicht beachtet, dass grundsätzlich die Erfordernisse der Verkehrssicherheit absoluten Vorrang vor einem schnellen Vorwärtskommen von Einsatzfahrzeugen haben. Die Folgen können schwerwiegend sein – auch ich habe sie durchlebt.

Im Blick zurück – auf einen Tag im Oktober, und im Rahmen meiner damaligen hauptberuflichen Einsatzaktivitäten .Ich war als Rettungsassistent zum Dienst auf einem RTW als verantwortlicher Beifahrer eingeteilt. Ein Alltagsgeschehen im Rettungsdienst wie immer. Doch dieser Tag sollte in langer Erinnerung bleiben.

Die Hälfte der Schicht ist bereits überstanden, dann kommt ein neuer Notfalleinsatz. Mit Sonderrechten geht es zügig zum Einsatzort. Das NEF folgt im Abstand von wenigen Minuten zum gleichen Geschehen. Nach nur wenigen Minuten Fahrzeit, fährt der Rettungswagen bei roter Ampelstellung, und mit hoher Geschwindigkeit (bestätigt durch Gutachten) in einen Kreuzungsbereich ein. Meine Warnrufe mit dem Hinweis auf einen querenden PKW wurden von der Fahrerin nicht wahrgenommen. Es kommt zu einem heftigen Zusammenstoß Airbages und Sicherheitsgurte erweisen sich als die „wahren Lebensretter“ doch der Fahrer des abgeschossenen PKW wurde schwer geschädigt.

Nach kurzer Zeit der Besinnung, in der der Vorfall überdacht wurde, sah ich mich in der Lage, an mir eine Ersteinschätzung durchzuführen. Prellungen an Gesicht-Schädel, Thorax und Abdomen stammen vom Lebensretter „Airbag“. Leicht benommen stieg ich aus dem Unfallfahrzeug und begab mich an den Fahrbahnrand in ca. 50 Meter Entfernung.

Vom weiteren Unfallgeschehen habe ich nichts wahrgenommen, weder das Eintreffen des NEF wurde registriert, noch der Verbleib des am Unfall beteiligten PKW. Mehrere Angebote von Ersthelfern, mich in eine Klinik zu bringen habe ich zu diesem Zeitpunkt energisch abgelehnt. Daran kann ich mich erstaunlicher Weise gut entsinnen, ich wollte in dieser Phase einfach nur meine Ruhe haben. Nach meinem Zeitempfinden glaube ich, dass ich mindestens eine Stunde, verärgert und unwillig am Straßenrand verbracht habe. Als Rettungsfachkraft, Kampfkunst – Sportler, und damaliger Leiter eines Sicherheit – Services, sowie erfahren in Einsätzen in Kriegs- und Krisengebieten, mit Unfällen und physischer und psychischer Gewalt häufig konfrontiert, war ich der festen Meinung, die Situation realistisch einordnen zu können. Doch dieses Mal sollte alles ganz anders kommen.

Nach der polizeilichen Vernehmung wurde ich aus dem Dienst genommen. Die diversen Prellungen wurden noch in einem Verbandbuch der BG vermerkt, und der etwas von der Norm abweichende Arbeitstag war zunächst zu Ende.

Die nächsten Tage und Nächte verliefen relativ unauffällig, mit Ausnahme dass ich nur wenig erholt aus dem Schlaf erwacht bin. Diese Situation habe ich nicht überbewertet und auf das Unfallgeschehen zurück geführt, und Erfahrungsgemäß wird sich dieser Zustand nach ein paar Tagen wieder ändern. Doch dem war nicht so.

Einige Wochen nach dem Unfall –Geschehen verschlechterte sich mein Allgemeinzustand, was vermeintlich auf die miese Qualität, des eigentlich der Regeneration dienenden Schlafes zurückzuführen war. Nun folgt die Steigerung. Das Unfallgeschehen wiederholte sich in regelmäßigen Abständen, gelegentlich mehrmals in einer Nacht. Schweißgebadet, unter meiner Bettdecke erlebe ich den Notfalleinsatz mit anschließendem Unfall. Meine Lebensqualität war maßgeblich eingeschränkt. Nächte und Arbeitstage werden zur Qual. Nun müssen Schritte folgen.

Die Situation ist erkannt. Als Rettungsfachkraft, und Gelegenheits- Autor, beschäftigt man sich natürlich auch mit der Psyche des Menschen. Das Eingeständnis, von einem Posttraumatischen Belastungssyndrom überrascht worden zu sein war die logische Folge der Überlegungen. Eine solche Erkrankung kann unbehandelt an äußerste Grenzen führen- auch in eine abgrundtiefe, und vermeintliche Verlassenheit.

Es kommt was kommen muss, der Unfall wird nun fünf Wochen nach dem Ereignis BG – lich erfasst, und vom diensthabenden Arzt, wird meine Verdachtsdiagnose bestätigt, und eine fachspezifische Weiterbehandlung angeordnet. Ich freute mich regelrecht darauf, weil nur so die Möglichkeit zur Herbeiführung gewünschter und auch gewohnter Lebensqualität erreicht werden konnte. Das Eingeständnis, von einem krankmachenden Ereignis überrannt zu sein, war der erste Schritt zur Heilung. Es macht keinen Unterschied zwischen erfahrenen und erfolgreichen „harten“ Menschen und denen, die man eventuell als „Weichei“ und Anfänger ohne ständige aufgezwungene Erfolge bezeichnet. Jeden kann es treffen. Der einzige Unterschied liegt darin, dass der weniger Erfolgreiche, der Normalbürger, der nicht im Rampenlicht der Öffentlichkeit steht, wie z. B. Bundesligaprofis, und entsprechende Erfolge nachweisen muss, leichter darüber sprechen kann. Er braucht auch nicht die große Angst zu haben, als Versager abgestempelt zu sein, der einen an der Klatsche hat und etwas „gaga“ ist.

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