Beschäftigte in der sozialen Arbeit an der Belastungsgrenze – Ergebnisse der Studie „Professionelle Krise nach Corona? Steuerungsbedarf in der Sozialen Arbeit nach der Pandemie (CriCo)

Die Beschäftigten in der Sozialen Arbeit in Baden-Württemberg sind am Limit: Das zeigt eine bundesweite Studie von Prof. Dr. Nikolaus Meyer (Hochschule Fulda) und Dr. Elke Alsago (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di) zur Arbeitssituation der Beschäftigten in der Sozialen Arbeit nach Ende der meisten coronabedingten Schutzmaßnahmen.

Hanna Binder, stellvertretende ver.di Landesbezirksleiterin: „Vier von fünf Beschäftigten in der sozialen Arbeit können sich nicht vorstellen, bis zur Rente zu arbeiten. Damit ist eine weitere dramatische Verschärfung des Fachkräftemangels vorprogrammiert, wenn wir nicht jetzt das Ruder für bessere Arbeitsbedingungen herumreißen. Wer neues Personal gewinnen will, muss auch die Bezahlung verbessern. Die Kommunen sollten diese Chance in den laufenden Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst nutzen.“

Im Ergebnis der heute (21. März 2023) vorgestellten Untersuchung zeigen die rund 700 befragten Beschäftigten aus der Sozialen Arbeit in Baden-Württemberg hohe berufliche Erschöpfungswerte und sehen bereits eine verminderte eigene Leistungsfähigkeit. Betroffen waren hier vor allem Beschäftigte in Kindertagesstätten, Jugendämtern, der Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigung, der Ganztagesbetreuung an Grundschulen, der Schulsozialarbeit, der Heimerziehung sowie der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Entsprechend fühlen sich 60,9 Prozent der Befragten in Baden-Württemberg häufig oder sogar sehr häufig an der Grenze der Leistungsfähigkeit. Die Gründe hängen unmittelbar mit der Corona-Pandemie zusammen. So geben einerseits 52,5 Prozent der Befragten an, dass in Baden-Württemberg die Nachfrage nach den Angeboten der Sozialen Arbeit seit Beginn der Corona-Pandemie bis heute deutlich angestiegen ist. Und andererseits nehmen 80,9 Prozent wahr, dass die Komplexität der Problemlagen bei den bereits vor Ausbruch der Corona-Pandemie vorhandenen Adressaten in dieser Zeit ebenfalls zugenommen hat. Damit verschärft die Corona-Pandemie, durch die gestiegenen Hilfebedarfe, den bereits zuvor herrschenden Personalmangel in der Sozialen Arbeit.

An der unabhängigen Studie nahmen im November 2022 bundesweit über 8.200 Beschäftigte aus den verschiedenen Bereichen der Sozialen Arbeit mithilfe eines Online-Fragebogens teil. In der wissenschaftlichen Auswertung zeigt sich nun deutschlandweit ein hohes Burnout-Risiko der Beschäftigten: Über 60 Prozent gehen häufig oder sehr häufig an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. So arbeiten rund 39 Prozent der Befragten regelmäßig drei oder mehr Stunden wöchentlich zusätzlich und über 65 Prozent der Befragten stehen bei ihrer Arbeit unter Zeitdruck. Hier führen die sozialen Folgen der Corona-Pandemie zu einer deutlich steigenden Belastung: Bundesweit nehmen seit Beginn der Corona-Pandemie bis heute 49 Prozent der Befragten eine deutlich gestiegene Nachfrage nach den Angeboten der Sozialen Arbeit wahr. Parallel geben mehr als 82 Prozent der Befragten an, dass die Komplexität der Problemlagen bei den bereits vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie vorhandenen Adressaten in dieser Zeit ebenfalls zugenommen hat. Im Ergebnis gehen aktuell mehr als 77 Prozent der Befragten davon aus, nicht bis zur Rente weiterarbeiten zu können. Die Folgen treffen nicht alleine die bundesweit rund 1,5 Millionen Beschäftigten in der Sozialen Arbeit, sondern auch die mehr als 5 Millionen Menschen, die unmittelbar in den Einrichtungen der Sozialen Arbeit begleitet werden. Alsago wies darauf hin, dass die Studie für ver.di auch dazu diene, um auf diese problematische Situation aufmerksam zu machen und die Sichtbarkeit der Beschäftigten zu erhöhen, damit sowohl die Not der Beschäftigten als auch der zu unterstützenden Menschen in der Öffentlichkeit mehr wahrgenommen werde.

„Die Situation und Belastung in der Sozialen Arbeit hat sich mit der Pandemie weiter zugespitzt. Trotz vieler Warnrufe wurden zu wenig Fachkräfte ausgebildet und eingestellt, um die Angebote ausreichend mit Beschäftigten und Ressourcen auszustatten. Oft hängt das Angebot auch von der finanziellen Ausstattung der Kommunen ab. Dies führt zu einer prekären Situation, sowohl für Beschäftigte als auch für Adressatinnen und Adressaten der sozialen Arbeit“, so Binder weiter.

Um diese problematische Situation zu ändern, fordert ver.di einen Schulterschluss von Bund, Ländern und Kommunen und die Bereitstellung finanzieller Mittel für Ausbildung und Studium zukünftiger Fachkräfte, die Verbesserung der Personalschlüssel und sofortige Maßnahmen für den Gesundheitsschutz der Beschäftigten in der Sozialen Arbeit.

„Fachkräfte zu gewinnen und zu halten, ist auch eine Frage der finanziellen Anerkennung. Hierfür kämpft ver.di in der Tarifrunde für den öffentlichen Dienst. Die Arbeitgeber haben die Möglichkeit, diese Anerkennung zu leisten und in der dritten Verhandlungsrunde ein entsprechendes Angebot vorzulegen“, betont die ver.di-Bundesfachgruppenleiterin.

ver.di Landesbezirk Baden-Württemberg

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