ver.di Baden-Württemberg zum Tarifergebnis: hart errungener Kompromiss setzt die richtigen Akzente auf Pflege und untere Einkommensgruppen – Tarifkonflikt im kommunalen Nahverkehr wird verschärft

„Das heute in Potsdam nach vier Verhandlungstagen erzielte Tarifergebnis war nur möglich, weil die Beschäftigten in den vergangenen Wochen trotz massivem Gegenwind ihrer eigenen Arbeitgeber den Mut hatten, auf die Straße zu gehen. Ohne die breite Beteiligung an den Arbeitsniederlegungen hätte es drei Jahre Stagnation bei den Gehältern gegeben“, so ver.di Landesbezirksleiter Martin Gross.

Acht Monate kürzere Laufzeit und ein höherer Mindestbetrag für alle im Vergleich zum ersten Angebot, sowie 120 Euro im Monat zusätzlich für die Pflege. Und eine starke soziale Komponente durch eine jetzt deutlich höhere Corona-Prämie von bis zu 600 Euro, die netto im Geldbeutel ankommt, und einer höheren Jahressonderzahlung für die unteren Einkommensgruppen Das sind die hart errungenen Eckpunkte, die eine Einigung in dieser von Corona so massiv geprägten Tarifrunde schließlich doch noch möglich gemacht haben.

Gross: Der heutige Kompromiss setzt auf diejenigen im öffentlichen Dienst Akzente, die es am meisten brauchen: die unteren und mittleren Einkommensgruppen sowie die Kolleginnen und Kollegen, bei denen eine Aufwertung überfällig ist, die Pflegekräfte. In bis zum Schluss sehr schwierigen Verhandlungen ist es uns gelungen Laufzeit und Volumen in ein deutlich besseres Verhältnis zu rücken und vor allem die Verteilung ausgesprochen fair und gerecht zu gestalten. Über den öffentlichen Dienst hinaus ist es gut, dass ein einseitiger und langjähriger Sparkurs auf dem Rücken der Beschäftigten heute klar verhindert wurde.“

Die heutige Vereinbarung bringt den Beschäftigten von Bund und Kommunen über die Laufzeit von 28 Monaten Einkommenssteigerungen von bis zu 4,5 Prozent in zwei Schritten sowie 2020 eine Corona-Prämie zwischen 300 und 600 Euro je nach Gehaltsgruppe.

Details weiter unten in der PM des ver.di Bundesvorstandes.

Hanna Binder, stellvertretende ver.di Landesbezirksleiterin: „Der heutige Kompromiss wird aber trotz der guten Akzente an den richtigen Stellschrauben nicht ausreichend dazu beitragen, den Fachkräftemangel in den nächsten Jahren zu beheben.“

Positiv sieht ver.di im Land, dass bei den Beschäftigten in der Pflege im Vergleich zum ersten Angebot nochmals ordentlich nachgebessert wurde. Dass größere Eingriffe in die Jahressonderzahlung der Sparkassen-Beschäftigten durch ein Entlastungsmodell abgewehrt werden konnten, war, so die Gewerkschaft, nur möglich durch die hohe Streikbeteiligung in diesem Bereich.

Irene Gölz, ver.di Landesfachbereichsleiterin Gesundheit und Soziales: „Die Ergebnisse für die Pflege sind ein Einstieg in die bitter nötige Aufwertung der Pflegeberufe. Wir konnten heute drei weitere verlorene Jahre verhindern. Die Zielmarke ist aber noch nicht erreicht. Wir fordern jetzt erst Recht von der Politik mehr Personal und Entlastung.“

Die Beschäftigten im kommunalen Nahverkehr in Baden-Württemberg sollen die Corona-Prämie nicht automatisch bekommen. Die kommunalen Arbeitgeber bestanden darauf, dies in den Manteltarifrunden im jeweiligen TV-N-Bereich zu diskutieren.

Andreas Schackert, ver.di Verhandlungsführer TV-N Baden-Württemberg: „Ausgerechnet Beschäftigte, die die ganze Krise hindurch verlässlich gearbeitet haben, sollen jetzt die Prämie nicht bekommen. Das belastet die ohnehin schwierige Tarifrunde im Land massiv. Seit Monaten sagt uns der KAV Baden-Württemberg, sie können erst richtig mit uns verhandeln, wenn die Tarifrunde öffentlicher Dienst zu Ende ist. Und jetzt verlängern sie genau diese Runde für den ÖPNV künstlich. Unsere freiwillige Zusage, bis zur nächsten Verhandlungsrunde am 3. November nicht mehr im Fahrdienst zu streiken, wird unsere Tarifkommission nun neu diskutieren müssen. Die Arbeitgeber scheinen das Ziel zu haben, dass ausgerechnet die Fahrerinnen und Fahrer bei der Corona-Prämie von 600 Euro komplett leer ausgehen.

Der General-Angriff auf das Eingruppierungssystem beim Arbeitsvorgang wurde abgewehrt.

Beim Jobrad kommt nun die von den Arbeitgebern geforderte Entgeltumwandlungsmöglichkeit zu Lasten der Sozialkassen und der individuellen Rentenansprüche. ver.di Baden-Württemberg rät Interessierten insbesondere der unteren und mittleren Einkommensgruppen dringend, genau zu prüfen, ob sich das Modell in dieser Form für sie rechnet.

Binder: „Damit gibt es auch künftig keinen Zuschuss für den Erwerb von Pedelecs und Fahrädern, sondern ein Sparmodell zu Lasten der Sozialkassen und zu Gunsten der Arbeitgeber. Ob es überhaupt rechtlich Bestand haben wird, ist fraglich.“

In Baden-Württemberg arbeiten nach Zahlen des Statistischen Landesamtes (Stichtag: 30.6.2019) 219.550 Tarifbeschäftigte bei den Kommunen. Etwa 66 Prozent der Beschäftigten sind Frauen, die Teilzeitquote beträgt rund 43 Prozent (insgesamt inklusive Beamt*innen). Im Jahr 2000 lag die Teilzeitquote noch bei 34 Prozent. Außerdem haben die bundesweiten Verhandlungen unter anderem Auswirkungen auf den Verlauf der Tarifrunde von rund 10.000 Beschäftigten bei der Agentur für Arbeit und über 3.000 Beschäftigten bei der Deutschen Rentenversicherung im Land.

 

ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Bundesvorstand www.verdi.de

Tarifeinigung im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen: Deutliche Anhebung für untere Einkommen und Gesundheitsberufe

In der Tarifrunde für die rund 2,3 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von Bund und Kommunen haben die Tarifparteien einen Abschluss erzielt. Dadurch steigen die Einkommen tabellenwirksam um 4,5 Prozent in der niedrigsten Entgeltgruppe und -stufe und noch um 3,2 Prozent in der höchsten Eingruppierung. In der Pflege beträgt die Steigerung 8,7 Prozent und in der Spitze für Intensivkräfte rund zehn Prozent. Alle Beschäftigten erhalten zusätzlich noch in diesem Jahr eine Corona-Prämie, für die unteren Entgeltgruppen (1-8) 600 Euro, die mittleren (9-12) 400 Euro, die oberen Lohngruppen (13-15) 300 Euro, für Auszubildende 225 Euro (Bund 200 Euro). Die Tarifvereinbarung läuft bis zum 31. Dezember 2022.

„Das ist unter den derzeitigen Bedingungen ein respektabler Abschluss, der für unterschiedliche Berufsgruppen, die im Fokus der Tarifrunde standen, maßgeschneidert ist“, sagte Frank Werneke, Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di).

„Besonders erfreulich ist, dass es uns gelungen ist, deutliche Verbesserungen für untere und mittlere Einkommensgruppen sowie für den Bereich Pflege und Gesundheit durchzusetzen“, betonte Werneke.

Die Löhne und Gehälter werden zunächst zum 1. April 2021 um 1,4 Prozent, mindestens aber 50 Euro sowie zum 1. April 2022 um weitere 1,8 Prozent angehoben. Auszubildende bekommen jeweils 25 Euro mehr.

Für die Pflegekräfte wurden gesonderte Gehaltssteigerungen vereinbart. Ab März 2021 wird eine Pflegezulage von 70 Euro gezahlt, die ein Jahr später auf 120 Euro erhöht wird. Die Zulage in der Intensivmedizin wird mehr als verdoppelt auf 100 Euro monatlich, die Wechselschichtzulage steigt von 105 auf 155 Euro monatlich. In den Betreuungseinrichtungen wie Altenheimen wird die Pflegezulage mit einem Plus von 25 Euro auf Gleichstand mit den kommunalen Krankenhäusern gebracht. Ärzte in den Gesundheitsämtern erhalten ab März 2021 eine Zulage von 300 Euro monatlich.

Einen Durchbruch gab es in der Arbeitszeitangleichung Ost/West. Ab dem 1. Januar 2023 sinkt die Ost-Arbeitszeit auf Westniveau. Damit ist ein wesentliches Ziel der Gewerkschaft ver.di erreicht.

„Das außergewöhnlich hohe Engagement der Beschäftigten in vielen Bereichen des öffentlichen Dienstes und die Warnstreiks der letzten Wochen haben die Dringlichkeit einer schnellen Einigung aufgezeigt.

Sie waren kurz, für manche in der Bevölkerung schmerzhaft, aber auch notwendig, wie sich gezeigt hat. Ohne Warnstreiks hätte es die notwendige Bewegung in den Tarifverhandlungen nicht gegeben“, sagte Werneke weiter.

Die von den Arbeitgebern geforderten Regelungen zur Abgruppierung in vielen Bereichen konnten abgewendet werden. Für Flughäfen können künftig Notlagen-Tarifverträge vereinbart werden, um betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Die tarifvertraglichen Regelungen zur Sicherstellung der Übernahme der Auszubildenden wird ebenso fortgeschrieben wie der Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeit.

In den unteren Einkommensgruppen 1 bis 8 wird zudem die Jahressonderzahlung 2022 um fünf Prozent erhöht. Bei den Angestellten der Sparkassen wird künftig ein Teil der Sparkassensonderzahlung in freie Tage umgewandelt.

ver.di strebt die Übertragung des Tarifergebnisses zeit- und inhaltsgleich auf die Beamtinnen und Beamten an.

Berechnungsbeispiele:

Eine Pflegefachkraft im Krankenhaus [Entgeltgruppe7/Stufe 6] mit derzeit rund 3.539,56 Euro Monatseinkommen erhält einschließlich der vereinbarten Zulagen künftig nach allen Anhebungen bis zu 300 Euro mehr.

In den unteren Einkommensgruppen würde etwa ein Beschäftigter der Müllabfuhr [Entgeltgruppe 3/Stufe 6] mit einem Monatseinkommen von 2.822,87 Euro am Ende 101,71 Euro mehr erhalten.

 

PM ver.di Landesbezirk Baden-Württemberg

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