Morgen ist für Juden in Israel, bei uns und in aller Welt ein gewichtiger Gedenktag, den fromme Juden fastend begehen. Am morgigen 9. Av, nach jüdischer Zeitrechnung, wird der Zerstörung der Tempel gedacht. Am 9.Av wurde sowohl der erste Tempel (586 v.Chr) als auch der zweite Tempel (70 n. Chr) zerstört. Außerdem wurde an diesem Tag Betar, die letzte Rückzugsfestung im Bar-Kochba- Aufstand (135 n.Chr) zerstört und damit jüdische Selbstverwaltung im Land für 1813 Jahre beendet.
Die Provinz Judäa wurde nach der Niederschlagung des Aufstandes von den römischen Besatzern in „Palästina“ umbenannt. An die Stelle Jerusalems wurde die römische Garnisonsstadt „Aelia Capitolina“ errichtet. Das Zentrum des jüdischen Glaubens sollte vernichtet werden. Die Kirche, die im 4. Jahrhundert zur staatstragenden Macht aufstieg, sah sich selbst als die von Gott Erwählte an, die an die Stelle des auserwählten Volkes Israel getreten sei. Der Bund Gottes mit Israel, sei nicht mehr in Kraft, sei das „Alte Testament“. In Kirchen wie in Straßburg, Bamberg, Freiburg wurde diese Selbsteinschätzung in Stein gemeißelt. Die Synagoge ist an den Kirchenportalen als Frau mit verbundenen Augen und gebrochenem Stab dargestellt- gegenüber die Kirche als triumphierende, sehende Frau. Mit dieser Sicht, wurde die Kirche seit dem Mittelalter zum treibenden Faktor für Stigmatisierung, Pogrome, Vertreibungen, Plünderungen der Juden. Erst nach dem 2.Weltkrieg und der Staatsgründung Israels begann in der Kirche ein Umdenken. Es war wie wenn der verblendeten
Kirche die Binde von den Augen genommen wurde. Heute lernt jeder Schüler im Religionsunterricht, dass Jesus Jude war und kein Christ, heute bekennen die Kirchen dass der Bund Gottes mit seinem Volk Israel nicht aufgehoben ist, sondern weiter besteht. Heute gehören jüdische Feste zum christlichen Grundwissen, schon deshalb, weil Jesus mit seinen Jüngern z. B. Pessach feierte, heute gehören in den großen Städten zur Adventszeit Chanukka-Leuchter selbstverständlich dazu. Der 9. Av erinnert uns Christenmenschen, an die Verbrechen, die eine verblendete Kirche an Juden getan hat, der 9. Av ist aber auch ein Hoffnungszeichen. Wir ahnen, dass in Wahrheit die Kirche verblendet war und die Synagoge die wahrhaft Sehende.
Foto: Die Darstellung der „Synagoge“ am Portal des Straßburger Münsters
Pfarrer Markus Herb
Rechberghausen
Beauftragter für das christlich-jüdische Gespräch