Sie kennen die Frage und die Schwierigkeit der Antwort. Wir machen es uns nicht leicht: Was ist besser? Wenn …, dann. Wenn das …, könnte dann? Könnte etwas passieren, was ich nicht will? Kommt das Gegenteil vom Gewollten heraus? Was kann ich mir gar nicht vorstellen? Was darf auf keinen Fall passieren? Was steht in meiner Macht? Was vom Machbaren kann ich mit meinem Gewissen vereinbaren? Könnte ich, wenn ich etwas nicht tue, verantworten, dass etwas noch Schlimmeres passiert? Muss ich etwas Schlechtes tun, damit Gutes geschieht? Kann ich das? Will ich das?

Pfarrer Dr. Tobias Kaiser, Martinskirche Geislingen
Schnell schwirrt der Kopf. Schnell können die Fragen konkret werden. So ist es bei den Menschen gewesen, die in 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts sich diesen Fragen ausgesetzt sahen. 1933, als Adolf Hitler und die Nazis an die Macht kamen, hatten die wenigsten sich Fragen gestellt. War jetzt halt so. Irgendwie wird es gehen. War immer irgendwie gegangen.
Plötzlich ging es anders. Ausgrenzung, Unterdrückung, Verfolgung und Vernichtung ganzer Bevölkerungsgruppen. Verhaftungen, Deportationen, Konzentrationslager, Krieg und massenhafter Tod. Augen zu, es nicht sehen wollen, ging nicht mehr.
Schuld daran? Hitler, der Diktator und Verbrecher, seine Helfer und Mitverbrecher. Man selbst auch, hatte weggesehen, sich nicht gewehrt, mitgemacht und davon profitiert. Hing mit drin. Hatte Eide geschworen, war loyal, abhängig und ängstlich.
Christen waren viele von denen, die sich nun Fragen stellten und die Schuld sahen. Was geschah, war Gottes Wille nicht. Ihr Gewissen klagte sie an. Schuldig waren sie. Schuldig würden sie weiter werden, wenn sie nichts tun. Doch was tun und dabei unschuldig bleiben? Was ist richtig? Ist alles falsch? Wieviel Schuld muss ich auf mich nehmen, um größere Schuld zu verhindern?
Antworten fanden sie nicht. Aber ein paar den Mut, etwas zu tun. Am 20. Juli 1944, vor 81 Jahren, wagten sie es, und versuchten, den Diktator zu beseitigen. Erfolglos leider. Sie bezahlten dafür mit dem Leben.
War es richtig, sinnvoll, gut? Fragen, auf die Antworten schwerfallen. Sie nicht zu stellen, solange es Zeit ist, ist falsch. Die damals haben zu spät angefangen, zu fragen.
Vielleicht ist das ihr Vermächtnis, dass wir uns die Fragen nach der Verantwortung vor Gott und den Menschen, für das Gemeinwohl und unser Gewissen rechtzeitig stellen.
Pfarrer Dr. Tobias Kaiser, Ev. Kirchengemeinde Geislingen