Manchmal wäre es gut, dem ersten Eindruck eine zweite Chance zu geben. Egal, ob es sich um die Begegnung mit Menschen handelt oder um Meinungen. Denn der erste Eindruck könnte falsch sein. Mein erstes eigenes Auto war mintgrün mit schwarzem Faltdach. Ich habe es mir nicht gezielt ausgesucht, es war einfach eine günstige Gelegenheit. Sobald ich das Auto besaß, sah ich plötzlich unglaublich viele mintgrüne Autos mit schwarzem Faltdach auf den Straßen.
So geht es auch Schwangeren, die sich wundern, wie viele andere Frauen plötzlich schwanger sind. In Wahrheit sind wir nur aufmerksamer für das, was uns beschäftigt. Wir erkennen besser, was wir schon kennen, weil unser Gehirn versucht, neue Eindrücke an bekannte Bahnen anzudocken. Das können positive Eindrücke sein oder auch negative. Deshalb nehmen wir immer nur einen Teil des Ganzen wahr, blenden anderes aus und bilden manchmal vorschnell Urteile. Ein chinesisches Sprichwort bringt es auf den Punkt: „Jedes Ding hat drei Seiten: eine die ich sehe, eine die du siehst und eine, die wir beide nicht sehen“. Ich glaube, dass wir in unserer Zeit mehr von dieser Einsicht bräuchten. Sie fördert einen echten Dialog, in dem es nicht mehr nur ums Rechthaben geht, sondern darum, zuzuhören und zu verstehen, was dahintersteckt. Gerade bei den ganzen komplexen Herausforderungen unserer Zeit wird das immer wichtiger. „Frieden beginnt bei mir“ lautet das Motto der Caritas in diesem Jahr. Ein provozierender Gedanke angesichts der aktuellen Kriegsschauplätze und auch der Verwerfungen in unserer Gesellschaft. Wirklich bei mir? Ich bin der festen Überzeugung, dass der Frieden genau da beginnt, wo ich damit rechne, nicht allein recht zu haben und die Situation der anderen in den Blick nehmen kann. Jesus fordert uns in der Bergpredigt auf, Frieden zu stiften und damit schon etwas vom Reich Gottes lebendig werden zu lassen. Und stiften heißt ja genau betrachtet, etwas von sich herzugeben für andere. Matthias Claudius hat das zu seiner Zeit in dem Lied „Der Mond ist aufgegangen“ in wunderschöne Worte gefasst: „Seht ihr den Mond dort stehen? Er ist bloß halb zu sehen, und ist doch rund und schön. So sind gar manche Sachen, die wir getrost belachen, weil uns’re Augen sie nicht sehen“. Diese Botschaft ist aktueller, denn je und vielleicht mögen Sie sich das Lied ja auch mal in einer neuen Version von Herbert Grönemeyer anhören. Es endet in beiden Fassungen mit dem Gebet, den (kranken) Nachbarn in den eigenen Wunsch, behütet und bewahrt zu werden einzuschließen – und genau damit, finde ich, beginnt der Frieden bei mir!
Sabine Stövhase
Caritas-Zentrum Göppingen