„Heut hand Se oos wieder richtig da Rooschd raa dau“ sagte mir in schönstem Schwäbisch ein Kirchenbesucher beim Ade sagen nach dem Gottesdienst an der Kirchentür. („Da Rooschd raa dua“ heißt wörtlich übersetzt „den Rost entfernen“, bildlich für „zurechtstutzen, entlarven“). Er sagte es nicht beleidigt oder empört, er sagte es mir lachend und strahlend ins Gesicht.
So, als ob eine Last von ihm abgefallen wäre und er wieder fröhlich aufatmen könne. „Da Rooschd raa dua“ kann ja auch bedeuten: die Wahrheit freilegen, Verhärtungen aufweichen und Verkrustungen auflösen. Mir schien, der fröhliche Mann an der Kirchentür hat es in diesem Sinn verstanden. Wenn das so ist, dachte ich, dann hat bei ihm das Evangelium Jesu Christi sein Ziel erreicht. Dann ist eingetreten, was Jesus im Johannesevangelium verspricht: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen“. Dann ist dem Mann die befreiende Wohltat des Evangeliums aufgegangen, die da heißt: Du bist ein wertvoller, von Gott geliebter Mensch. Vertrau darauf, Du mußt nicht immer den Starken spielen. Du kannst deine Schwächen zugeben und deine Lasten ablegen. Du erfährst, dass Gott Dich trägt. Und erlebst, wie schön es ist, im Gottesdienst der Gemeinde mit vielen anderen zusammen Gottes Nähe zu feiern und Kraft für ein gerechtes Miteinander zu schöpfen. Das ist wie eine Erfrischungskur. Das befreit und hilft, den „Rooschd“ von Verhärtungen , die uns selbst und unser Zusammenleben belasten, aufzulösen. Übrigens machte Jesus keine Unterschiede. Seine befreiende Botschaft galt den gesellschaftlich Außenstehenden genauso wie denen, die sich für die Rechtgläubigen und Rechtschaffenen hielten. Eben dies, dass er sich nicht an die gesellschaftlich und religiös vorgegebenen Abgrenzungen hielt, hat ihm die todbringende Feindschaft der Mächtigen eingebracht. Seine Gegner konnten ihn aber nicht zum Verstummen bringen. Gott sei Dank! Er redet zu uns immer noch. Besonders in unseren Gottesdiensten, aber auch ganz unspektakulär in Alltagssituationen. Seine in den Evangelien überlieferten Worte haben nichts von ihrer Aktualität und ihrer wohltuenden, allen „Rooschd“ auflösenden Kraft verloren. Wenn er z.B. sagt: „ Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, aufatmen sollt ihr und frei sein“ – dann kann uns das öffnen für eine neue Sicht. Dann sehen wir im angsterfüllten Flüchtling aus Afghanistan auf der einen und im wütenden (weil ebenfalls angsterfüllten?) AFD-Wähler auf der anderen Seite von Gott geliebte Menschen, die wie wir alle auf Gottes Barmherzigkeit angewiesen sind. Ein vom „Rooschd“ der Angst befreites, respektvolles und anteilnehmendes Miteinander wird möglich. Welch rettende Wohltat , wenn das Evangelium Jesu Christi so bei uns sein Ziel erreicht!
(N.B.: Das Diakonische Werk Göppingen sucht Ehrenamtliche, die freitagnachmittags im Café Asyl das Barrieren überwindende Miteinander pflegen,Tel: 07161 9636775)
Pfarrer i.R. Walter Scheck, Göppingen