Dieses Wort „weniger ist mehr!“ wird häufig verwendet, um sich und andere zu beruhigen, aufzumuntern, gelegentlich auch zu trösten. Dies gilt besonders dann, wenn Situationen einen negativen Verlauf nehmen, zum Beispiel, wenn man im Beruf auf der Karriereleiter nicht so voran kommt, dann können solche Gedanken beruhigen. Freiräume für Neues können sich auftun, mehr Zeit für die Familie oder Hobbys bleibt; oder beim Wechsel in eine kleinere Wohnung, nachdem die Kinder ausgezogen sind, kann ein solche Schritt fast schon befreiend wirken. Hier gilt wie für eine Reihe anderer Beispiele: Weniger ist mehr.
Es gibt aber auch Situationen, für die gilt: Weniger ist nicht mehr, sondern einfach zu wenig. Ich denke an Menschen, die finanziell nicht über die Runden kommen. Ich habe Menschen vor Augen, denen ihre Waschmaschine defekt ist und sie deshalb von Hand waschen müssen. Ich denke an die alleinlebende Mutter mit ihren drei Kindern, die nicht weiß, wie sie den PC oder das Fahrrad ihres Kindes bezahlen soll. Für diese Menschen ist die Aussage „weniger ist mehr“ eine Zumutung! Wir sind deshalb gut beraten, zu überlegen, wann wir wem zurufen: Weniger ist mehr! Denn sie trifft eben nicht immer zu, manchmal greift sie völlig daneben. Wo dies der Fall ist, da gilt es weiterzudenken und zu fragen: Was muss anders werden, was kann ich dabei tun, damit es nicht bei diesem „Zuwenig“ bleibt und wir vielleicht in eine annehmbarere Aussage kommen: Wenig, aber noch genug!
Heute am 7. Oktober begehen wir den Welttag der menschenwürdigen Arbeit. An diesem Tag treten Gewerkschaften und die Betriebsseelsorge weltweit für menschenwürdige Arbeitsbedingungen ein. Dazu gehören gute Arbeitsbedingungen und auskömmliche Löhne – eben genug für alle. Durch Arbeit wird der Schöpfungsauftrag erfüllt. Die menschliche Arbeit ist Mittel zum „Bebauen und Bewahren“ (Gen 2,15) der göttlichen Schöpfung. Ihr entnimmt der Mensch die notwendigen Ressourcen, bildet diese durch seine Arbeit um, um Leben für sich und andere bestreiten zu können. Der Mensch und seine Arbeit sind somit unmittelbar Teil der göttlichen Schöpfung. Dabei sind wir aufgerufen, mit unserem Einsatz eine bessere Welt für alle, auch für kommende Generationen und auch für die Schöpfung zu schaffen. Angesichts der Herausforderungen dieser anstehenden Transformationen braucht es grenzüberschreitende Schulterschlüsse und internationale Zusammenarbeit. Damit am Ende zumindest alle sagen können: Wenig, aber genug zum menschenwürdigen Leben.
Norbert Köngeter, Stadtdiakon und Betriebsseelsorger Katholische Kirche, Göppingen