Auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie erregte eine Schlagzeile aus Neuseeland Aufsehen: „Regierung kürzt eigene Gehälter“. Alle Minister und Spitzenbeamte des Landes verzichteten für sechs Monate auf 20 Prozent ihrer Bezüge. Das eingesparte Geld kam den staatlichen Corona-Hilfen zugute.
Die sozialdemokratische Premierministerin Jacinda Ardern erreichte bei den darauffolgenden Wahlen die absolute Mehrheit. Wäre dies ein Beispiel auch für uns? Ich will vorsichtig sein und nicht zu denen gehören, die von anderen Verzicht verlangen, sich selber aber raushalten. Wenn es eine zeitlich begrenzte Sonderabgabe gäbe, müßten sich nicht nur Spitzenbeamte daran beteiligen, sondern eben alle Bessergestellten. Wir hören in diesem Herbst viele Appelle zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Viele Menschen haben Existenzängste wegen der hohen Energiekosten. Bäckereien und andere Betriebe bangen um ihr wirtschaftliches Überleben. Die politisch Verantwortlichen ringen um Lösungen. Aber was ist gerecht? Die dreihundert Euro Soforthilfe für jedermann ist für die Armen zu wenig und für die Reichen völlig überflüssig. Da geb ich dem Christdemokraten Friedrich Merz recht, der gesagt hat, er brauche die dreihundet Euro nicht, andere dagegen müßten tausend bekommen. Die Krise zeigt: mehr Gemeinsinn und mehr Umverteilung ist notwendig, damit Notleidende nicht zurückgelassen werden. Wenn wir Christen die Bibel in Punkto sozialer Gerechtigkeit befragen, erhalten wir sehr klare Antworten. „Wer zwei Hemden hat, gebe dem eins, der keines hat“ lesen wir im Evangelium. „Euer Überfluß diene ihrem Mangel“ schreibt der Apostel Paulus an die Wohlhabenden der christlichen Gemeinde in Korinth. Er mahnt Umverteilung an; sie sollen was Erkleckliches für die Armen in Jerusalem abgeben, „damit ein Ausgleich geschehe“. Er verweist auf ein sozusagen pädagogisches Gotteswunder: Als die Israeliten bei ihrem Auszug aus der ägyptischen Sklaverei in der Wüste Hunger litten, versorgte Gott sie mit „Manna“, Himmelsbrot, das wie Tau auf der Erde lag. Da raffte der eine zusammen, so viel er nur konnte. Der andere sammelte weniger. Am Abend aber – o Wunder ! – hatten alle gleich viel in ihren Körben. Ungerechte Gleichmacherei! würde heute mancher protestieren. „ Habsucht ist die Wurzel allen Übels“ hält Paulus dagegen. Der Evangelist Lukas erzählt eine schöne Geschichte vom Gemeinsinn der ersten Christen. Sie warfen all ihren Besitz zusammen „und teilten aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte“. Zugegeben: Lukas beschwört ein Ideal, das mit uns unvollkommenen Menschen kaum umsetzbar ist. Wir können die biblischen Vorgaben nicht eins zu eins in Politik übertragen. Sonst müßten wir – um im Bild zu bleiben – jede Menge Hemden hergeben. Wir können uns aber vom biblischen Geist inspirieren und aufrütteln lassen. Dann setzen wir uns noch mehr ein für den vielbeschworenen sozialen Zusammenhalt und und eine gerechtere Verteilung der Lasten. Das kann mit Gottes Hilfe gelingen. Das macht Hoffnung und ist gut für alle. Oder nicht?
Pfarrer i.R. Walter Scheck, Göppingen
11.6.2022