Sonntagsgedanken: Biblische Work-Life-Balance

Jeder kennt es: Die Bitte, einzuspringen, wenn ein Kollege ausfällt! Das passiert im Krankenhaus, im Einzelhandel, in den Kindertagesstätten oder in der Gastronomie. Es gibt immer einen, der seufzend sagt: Also gut, ich mach’s! Das verdient deswegen alle Hochachtung, weil es ja nicht nur um eine Mehrbelastung an Arbeit geht, also sprich: Überstunden! Nein, es geht auch um einen Verlust an Erholung und Freizeit! Wahrscheinlich wollte der einspringende Kollege in dieser Zeit etwas ganz anderes machen: Zeit mit der Familie verbringen, etwas Wichtiges erledigen oder einfach entspannen und die Sonne genießen. Das heißt heutzutage Work-Life-Balance.

Noch schlimmer wird es allerdings, wenn das Einspringen zur Regel wird und ein längst marodes System stützt! In manchen Bereichen unseres öffentlichen Lebens ist die Personaldecke mittlerweile so dünn, dass der Betrieb längst zusammengebrochen wäre, wenn nicht dauernd und ständig jemand „einspringen“ würde. Das ist aber kein solidarisches Einspringen für eine nicht vorhersehbare Erkrankung mehr, sondern das ist der verzweifelte Versuch, das ganze Unternehmen vor dem Kollaps zu bewahren! Und immer öfter hört man, dass Mitarbeiter dazu nicht mehr bereit sind und dann die Konsequenzen ziehen.

Trotzdem habe ich den Eindruck, dass wir – die Öffentlichkeit – dieses Problem immer noch vor uns herschieben, so nach dem Motto: Irgendeiner wird’s am Ende schon machen! Sonst hätten wir ja schon längst etwas dagegen unternommen: die Attraktivität des Jobs gesteigert, die Arbeitszeiten angepasst, höhere Löhne gezahlt. Stattdessen setzen wir darauf, dass am Schluss wie immer einer sagen wird: Also gut, ich mach’s!

In den katholischen Gottesdiensten wird an diesem Wochenende die Erzählung von Maria und Martha vorgelesen, die den berühmten Satz der gestressten Martha enthält: „Meister, kümmert es dich eigentlich gar nicht, dass meine Schwester die ganze Arbeit mir allein überlässt? Sag ihr mal, sie soll mir helfen!“ (Lk 10,40) Da hätte wohl mal jemand einspringen sollen! Natürlich – im Duktus der Geschichte ist Maria die, die den „guten Teil gewählt“ und die richtige Entscheidung für eine ausgeglichene Work-Life-Balance getroffen hat.

Ich wage mir aber nicht vorzustellen, was passieren würde, wenn das in unserem öffentlichen Sektor Schule machen und jeder konsequent auf seine Work-Life-Balance achten würde. Wir würden uns wundern! Deshalb habe ich Hochachtung vor all denen, die zu unser aller Wohl ihre eigene Mehrbelastung in Kauf nehmen. Aber eines ist klar: Auf Dauer wird das so nicht gehen! Denn auch Jesus und Maria hätten nichts davon gehabt, wenn Martha irgendwann zusammengeklappt wäre.

Pfr. Stefan Pappelau, kath. Kirchengemeinde St. Maria Göppingen

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