Klimaneutrales Baden-Württemberg – Freiwillige Kompensation durch Verbraucherinnen und Verbraucher fördern

Mit Beschluss vom 24.3.2021 hat das Bundesverfassungsgericht das Bundes Klimaschutzgesetz für teilweise verfassungswidrig erklärt und den Gesetzgeber zur Nachbesserung verpflichtet.1 Daraufhin wurden einige Maßnahmen verschärft und Ziele angehoben oder vorgezogen. Unklar ist, ob dadurch die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts erfüllt werden und Deutschland mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2045 auf den 1,5 GradPfad gelangt.

Fridays for Future jedenfalls kritisiert, dass dafür auch die von der neuen Ampelkoalition beschlossenen Maßnahmen nicht ausreichen. Fest steht allerdings, dass die Klimaziele Verbraucherinnen und Verbrauchern sowie der Wirtschaft (finanzielle) Belastungen abverlangen. Denn Konsum hat immer Auswirkungen auf das Klima, Verbraucher sind also Verursacher, dies freilich bedingt durch das von der Wirtschaft generierte Angebot. Fest steht auch, dass die Belastungen umso größer und einschneidender sein werden, je später sie ergriffen werden.

Sehr schnell könnte Klimaneutralität erreicht werden, wenn Verbraucherinnen und Verbraucher, die Wirtschaft und die staatlichen Institutionen ihre noch nicht vermeidbaren Emissionen von Treibhausgasen klimaneutral stellen würden. Das geht durch Kompensationsprojekte in Schwellen und Entwicklungsländern, aber auch durch Maßnahmen wie etwa die Wiedervernässung von Mooren in Deutschland.

Die Kompensation ist jedoch keine Alternative zur Reduktion der TreibhausgasEmissionen. Denn selbstverständlich ist es sinnvoller, Treibhausgase zu vermeiden als sie zunächst durch die Nutzung fossiler Energieträger freizusetzen und dann zu kompensieren. Außerdem schaden Erdöl, Erdgas und Kohle nicht nur dem Klima, sondern auch der Umwelt, zum Beispiel durch ölverschmierte Ozeane oder Braunkohlelöcher, die für viel Geld renaturiert werden müssen. Sinken die Emissionen, wird im Übrigen
auch weniger Geld für die Kompensation gebraucht.

Schon heute kompensieren Verbraucherinnen und Verbraucher freiwillig zum Beispiel ihre durch (Urlaubs)Flüge entstehenden Treibhausgasemissionen. Für die entstehenden Kosten erhalten sie steuerlich absetzbare Spendenbescheinigungen. Auch Teile der Wirtschaft wie Gasversorger neutralisieren so ihre Produkte und/oder Produktion.

Die Verbraucherkommission fordert daher die Landesregierung auf, zu prüfen, wie die freiwillige Kompensation durch Verbraucherinnen und Verbraucher zusätzlich (finanziell) gefördert werden kann.

Die Verbraucherkommission empfiehlt der Landesregierung, die Verbraucher auf geeignete Weise über die (bevorzugt regionalen) Möglichkeiten der freiwilligen Kompensation zu informieren.

Außerdem spricht sich die Verbraucherkommission dafür aus, dass die Landesregierung nach Wegen sucht, die freiwillige Kompensation durch die Wirtschaft einerseits (finanziell) zu fördern5, andererseits Vorschläge macht, wie übertriebenes Greenwashing rechtlich geahndet werden könnte (insbesondere durch einen entsprechenden gesetzlichen Rahmen, aber auch durch verstärkte Anwendung bestehender Mechanismen etwa des Wettbewerbsrechts).

Die Verbraucherkommission regt an, dass die Landesregierung die ihr und den staatlichen Institutionen zuzurechnenden bzw. die von ihnen verursachten Treibhausgasemissionen als Vorbild für Verbraucherinnen und Verbraucher kompensiert.

Hintergrund
739 Mio. Tonnen Treibhausgase wie Kohlendioxid, Methan oder Lachgas hat Deutschland im Jahr 2020 verursacht.6 Das sind pro Kopf rund neun Tonnen. Um den Klimawandel zu stoppen, dürften es höchstens 1,5 Tonnen pro Kopf sein.7 Daher werden Elektroautos bezuschusst, Häuser gedämmt, Kohlekraftwerke stillgelegt, Windräder und Solarparks gefördert. Dadurch soll Deutschland bis 2045 klimaneutral sein.

Doch es ginge viel schneller. Durch Kompensation, das heißt durch Investitionen in Projekte in Schwellen und Entwicklungsländern wie die (Wieder)Aufforstung von Wäldern, den Bau von Solaranlagen, den Ersatz von Kohle durch Biomasse wie Kokosnussschalen oder effiziente Kochöfen, wie auch durch Maßnahmen wie die Wiedervernässung von Mooren in Deutschland. Aber weil sich in Schwellen und Entwicklungsländern mit jedem Euro viel mehr erreichen lässt als in den Industrieländern, kostet die Kompensation bei Organisationen wie Atmosfair, Klima Kollekte, Myclimate, Climate Partner oder Prima Klima gerade einmal 15 bis 25,50 Euro pro Tonne Kohlendioxid. Das sind pro Bundesbürger 135 bis 230 Euro pro Jahr oder gut elf bis knapp 19.

Eine zusätzliche Fördermaßnahme für Verbraucher und Wirtschaft könntezumBeispiel ein Ausgleich für die
steigendeCO2Bepreisung sein.

Atmosfair geht hier noch von elf Tonnen pro Kopf in Deutschland aus. Aber die 739 Mio. Tonnen im Jahr 2020 ergeben neuen Tonnen bei 83 Mio. Einwohnern.

Milliarden Euro für die gesamten 739 Mio. Tonnen deutscher Treibhausgase. Zum Vergleich: Die jüngste Hochwasserkatastrophe hat in RheinlandPfalz und NordrheinWestfalen Schäden in Höhe von 30 Milliarden Euro verursacht. Rein volkswirtschaftlich hat die öffentliche Hand daher ein Interesse daran, (finanzielle) Anreize für Kompensation zu setzen. Zudem helfen viele Kompensations und Einsparungsprojekte auch den Menschen vor Ort. So tragen saubere Kochöfen, durch die der Holzverbrauch und damit die CO2Emissionen fürs Kochen um 40 bis 80 Prozent sinken, laut Climate Partner zu elf der 17 UNZiele für eine nachhaltige Entwicklung bei. Unter anderem zum Ziel „Gesundheit und Wohlergehen“, weil sie Luftqualität in Wohnräumen verbessern und für einen erheblichen Rückgang von Atemwegserkrankungen sorgen.8 Der Ersatz von Kohle durch Biomasse in Ziegeleien sorgt unter anderem für „Menschenwürdige Arbeit“. Waldschutz und die Aufforstung von Wäldern fördert neben anderen das Ziel „Keine Armut“ durch Verbesserung der Lebensgrundlagen und Einkommensmöglichkeiten.

Neben Verbraucherinnen und Verbrauchern, die vorwiegend die durch ihre (Urlaubs ) Flüge entstehenden Treibhausgase kompensieren, stellen auch Unternehmen freiwillig ihre Produkte und/oder die Produktion klimaneutral. So meldete der Bad Dürrheimer Mineralbrunnen im Juni 2020, er sei die erste vollumfänglich klimaneutrale Mineralwassermarke BadenWürttembergs. „Bei der Erstellung der Klimabilanz der Marke Bad Dürrheimer war uns eine ganzheitliche, vollumfängliche Erfassung wichtig. D. h. auch die Klimawirkung der vor und nachgelagerten Wertschöpfungsstufen, die z. B. durch Geschäftsreisen oder das Pendeln der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entstehen, sollten berücksichtigt werden. Besonders wichtig war uns hierbei auch, die durch den Transport verursachten CO2Emissionen konsequent mit einzubeziehen. Mit dieser umfassenden Betrachtung nehmen wir unter den badenwürttembergischen Mineralbrunnen die Vorreiterrolle ein“, erklärte Ulrich Lössl, Geschäftsführer des Bad Dürrheimer Mineralbrunnens.9 Nach Auskunft des Verbandes Deutscher Mineralbrunnen arbeitet inzwischen eine „Vielzahl“ der etwa 200 Abfüller in Deutschland klimaneutral. Bis spätestens 2030 wolle man „den CO2Fußabdruck von natürlichem Mineralwasser branchenweit auf null stellen“, so der Pressesprecher des Verbandes, Maik Hünefeld.
Auch immer mehr Gasversorger stellen das von ihnen verkaufte Gas klimaneutral. Denn Erdgas ist zwar ein relativ sauberer Energieträger. Aber auch bei seiner Verbrennung entsteht CO2. Die Elektrizitätswerke im badenwürttembergischen Schönau zum Beispiel mischen Biogas, das nicht aus dafür angebauten Energiepflanzen, sondern aus Abfall und Reststoffen einer Papierfabrik gewonnen wird, mit fossilem Erdgas und
kompensieren die TreibhausgasEmissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette von der Exploration der Lagerstätten bis zur Verbrennung beim Kunden.12 Anders als Verbraucherinnen und Verbraucher erhalten Unternehmen für die entstehenden Kosten keine steuerlich absetzbaren Spendenbescheinigungen. Daher spricht sich die Verbraucherkommission dafür aus, dass die Landesregierung nach Wegen sucht, die freiwillige Kompensation durch die Wirtschaft (finanziell) zu fördern.

PM Geschäftsstelle Verbraucherkommission Baden-Württemberg, Hauptautor: Jürgen Stellpflug

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