Der heutige Austausch von Spitzenvertretern des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages (BWIHK) mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann steht ganz im Zeichen der Standortsicherung: Was brauchen unsere Innenstädte und Ortskerne, um auch in Zukunft lebendige Zentren zu sein? Mit welchen Instrumenten erhält die duale Aus- und Weiterbildung den dringend nötigen Booster, um dem steigenden Fachkräftemangel bedarfsgerecht entgegenzuwirken? Wie gelingen die Umsetzung nachhaltiger Klimapolitik und Beschleunigung der Energiewende im Einklang mit Bedürfnissen der Wirtschaft – wie werden Umsetzungspotenziale bei neuen Technologien von z. B. Wasserstoff bestmöglich genutzt? Diese Fragen bilden die Dialog-Schwerpunkte.
Zu Beginn steht die alarmierende Lage in den Innenstädten und Ortskernen Baden-Württembergs im Mittelpunkt. Denn nicht nur der allgemeine Strukturwandel hinterlässt dort tiefe Spuren, vielmehr wirkt die Corona-Pandemie als Brandbeschleuniger der radikalen Umgestaltung – insbesondere bei Branchen, welche lebendige Ortskerne bis dato ausgezeichnet haben.
BWIHK-Präsident Wolfgang Grenke: „Gerade die von Corona in zwei Jahren Pandemie besonders getroffenen Branchen stehen in Innenstadtlagen und Ortskernen unter enormem Druck, viele knapp vor dem Aus. Ob Non-Food-Fachhandel, Gastronomie, Bars und Clubs, Hotels oder beispielsweise Reiseanbieter – die Umsatzzahlen sind erschreckend, die Lage zum Teil fatal. Nach Jahren mit unsicherem Geschäft und noch weniger langfristigen Perspektiven droht Corona unsere Zentren im Zeitraffer zu veröden. Denn unter G-Regelungen ist, wenn überhaupt geöffnet werden kann, kein auskömmliches Wirtschaften möglich. Zudem suchen jetzt viele Fachkräfte ihr Glück in anderen, verlässlicheren Branchen und verstärken die Not der Branchen noch zusätzlich.“
Der BWIHK-Präsident betont, dass schnell gehandelt werden muss – unsere Zentren brauchen jetzt die nötigen Perspektiven. Als Booster-Programm für die Belebung und Sicherung von Innenstädten und Ortskernen sollte das Programm „Initiative Handel 2030“ ausgebaut werden, welches 2019 in der ersten Runde mit zahlreichen Impulsen endete. „Entscheidend ist nicht nur die Vernetzung von Einzelhandel, Gastronomie und Hotellerie, Tourismus, Kultur, Sport, Event und Erlebnis, sondern auch das direkte Einbinden aller Akteure aus den Verwaltungen, Regionalverbünden und Wirtschaftsverbänden an einem runden Tisch, um über Best-Practice-Beispiele zu einer zukunftssichernden Lösung für die Landesfläche zu kommen“, führt BWIHK-Präsident Grenke aus.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann: „Wir wissen, dass vielen Betrieben das Wasser bis zum Hals steht. Mich erreichen viele Briefe und ich tausche mich mit den Unternehmen und den Verbänden regelmäßig aus. Bund und Land haben Wirtschaftshilfen mit historischen Fördersummen geleistet und leisten sie noch. Auch wenn sie nur einen Teil der Kosten abdecken, konnten wir damit eine Insolvenzwelle in der Breite vermeiden. Wir wollen alles dafür tun, damit unsere Innenstädte nicht veröden. Mit Förderprogrammen wie dem Neustart-Programm oder den Innstadtberatern unterstützen wir den Einzelhandel. Es geht aber um mehr: Es geht um digitale Geschäftsmodelle, es geht um den Klimawandel und städtebauliche Entwicklungen und innovative Konzepte mit den Betroffenen in den Kommunen vor Ort.“
„Wir haben vereinbart“ so der Ministerpräsident, „dass die Maßnahmen im Land gemeinsam mit allen betroffenen Ressorts koordiniert werden sollen.“
Bei den Fachkräften im Land und den Bedarfen der Wirtschaft zeigt sich ein klares Ungleichgewicht zwischen dualer Ausbildung und Studium. Doch statt vieler Akademiker fehlen der Wirtschaft in den kommenden Jahren vor allem dual aus- und weitergebildete Fachkräfte. Das belegt der IHK-Fachkräftemonitor als bewährtes Analysetool für das zukünftige Angebot und die Nachfrage im Südwesten. Im Jahr 2035 werden von 863.000 fehlenden Arbeitskräften 792.000 mit dualer Aus- und Weiterbildung wie Fachwirte, Techniker oder Meister gefragt sein, aber nur rund 70.000 Akademiker.
Zu diesem Ungleichgewicht merkt BWIHK-Präsident Grenke an: „Mit diesen Zahlen sieht man glasklar, dass wir auf ein echtes Fachkräfteproblem von dual Aus- und Weitergebildeten zusteuern und weniger einem Mangel an Hochschul-Qualifizierten hinterherlaufen.“ Die Ursache gründe dabei nicht in mangelnden beruflichen oder finanziellen Perspektiven betrieblicher Ausbildung – das hat die BWIHK-Studie zur Bildungsrendite deutlich aufgezeigt. So sind sich alle Gesprächsteilnehmenden einig, dass sich die »Karriere mit Lehre« zweifelsfrei genauso lohnt wie ein Studium. Vielmehr fehlt das Wissen um die Berufsvielfalt und Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bildung bei Schulabgängern, deren Eltern und dem ganzen Umfeld, das entscheidenden Einfluss auf die Berufswahl und Schulkarriere nimmt. Deshalb werden die Chancen fälschlicherweise als viel unattraktiver eingeschätzt. „Hier müssen wir gemeinsam ansetzen: Mit mehr Transparenz, mit Werbung für Berufsvielfalt und einer viel stärkeren Berufsorientierung an allen Schulen“, so Grenke weiter – er ergänzt: „Ein erster, ganz wichtiger Schritt auf diesem Weg ist die überfällige Gleichstellung mit dem Handwerk. Wenn wir zukünftig mehr Meister als Master brauchen, lässt sich nicht schlüssig belegen, warum ein Bäcker- oder Metzgermeister für seinen erfolgreichen Abschluss die Prämie von 1.500 Euro bekommt, der Küchenmeister und Industriemeister aber nicht. Die Meisterprämie aus dem Handwerk muss deshalb schnell zu einem Aufstiegsbonus für alle gleichwertigen Abschlüsse ohne Ausnahme der Kammerzugehörigkeit oder des Berufes ausgebaut werden!“
Der Fachkräftemangel wird in den nächsten Jahren ein zentrales Thema sein, stimmt Ministerpräsident Kretschmann zu. Hier soll die neue „The Länd“-Kampagne gezielt eingesetzt und die IHK-Organisation eng eingebunden werden.
Ministerpräsident Kretschmann betont: „Es freut mich, dass unsere Kampagne ‚The Länd‘ bei den Industrie- und Handelskammern auf positive Resonanz gestoßen ist, und die IHK-Organisation sich beteiligen wird. Wir steuern auf einen großen Fachkräftemangel zu. Das Problem wird drängender, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Ruhestand gehen. Diese Herausforderung wird sich durch alle Branchen ziehen. Um dem zu begegnen, müssen wir qualifizierte Kräfte aus dem Ausland anwerben, wir müssen aber auch die Beschäftigten in den Betrieben fit machen für neue Herausforderungen. Deswegen ist die Weiterbildung ein weiteres zentrales Element zur Bewältigung des Fachkräftemangels. Dafür haben wir die Weiterbildungsoffensive mit 40 Mio. Euro zusammen mit unseren Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft gestartet. Wir brauchen aber auch den Bund, um noch mehr Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben.“
Als letzten Schwerpunkt fokussiert die Runde das herausfordernde Feld der Klimapolitik. So wichtig die Ziele des europäischen Green-Deals sind, so enorm gestalten sich die Herausforderungen für Unternehmen, die ihre Transformation ins Digitale und Nachhaltige zugleich bewältigen müssen. Auch wenn die Zeit drängt, darf der Standort Baden-Württemberg dabei weder seine Wettbewerbsfähigkeit noch die Arbeitsplätze riskieren. Hierzu zählt genauso die Energiewende – das Abschaltdatum für den letzten Atommeiler im Land steht fest und der Windkraftausbau hat deutliches Potenzial nach oben. Eine gewichtige Stellschraube, hier voranzukommen, ist die Verkürzung von Plan- und Genehmigungsverfahren, darüber bestand Einigkeit bei den Teilnehmenden. Wolfgang Grenke betont: „Unsere Unternehmen brauchen nicht nur ein grünes Label auf der Steckdose, sondern verlässlich den benötigten Strom in den Steckern der Maschinen. Deshalb müssen Plangenehmigungsverfahren radikal verkürzt werden, um die Ziele jetzt zu erreichen. Wir begrüßen die neu gegründete Task-Force zum Ausbau der Erneuerbaren Energien und regen die Umsetzung von Parallelverfahren für Prüf- und Zulassungsprozesse an.“
Ministerpräsident Kretschmann ergänzt: „Unsere dazu eingerichtete Task Force macht ganz konkrete Vorschläge, wie wir die Planungs- und Genehmigungsverfahren um mindestens die Hälfte verkürzen können und setzt diese schnellstmöglich um. Wir wollen Genehmigungsverfahren durch Standardisierung straffen und sie digitalisieren. Wir wollen bessere Steuerung und weniger Bürokratie und eine Verkürzung des Rechtswegs. Vom Bund kommen endlich deutliche Signale, dass auch dort die notwendigen Maßnahmen schnell angegangen werden. Das ist wichtig, denn der Kampf gegen den Klimawandel muss mit Hochdruck und auf allen Ebenen beschleunigt werden.“
Weiter kommt der Nutzung von Wasserstoff entscheidende Bedeutung zur Dekarbonisierung wirtschaftlicher Prozesse zu. Die Technologie taugt als Innovations-Booster für den Standort, wenn die Weichen von Beginn an richtig gestellt sind. „Zum Start brauchen wir alle Arten von Wasserstoff – sei er grün, blau oder türkis erzeugt. Wasserstoff an sich ist farblos, wir dürfen uns nicht in Farbenspielen verlieren. Wenn wir alle Aktivitäten bündeln und bestmöglich fördern, kann Baden-Württemberg in diesem Wettlauf Gewinner sein“, so BWIHK-Präsident Grenke.
Dazu abschließend Ministerpräsident Kretschmann: „Wichtig ist für uns, dass Wasserstoff in ausreichender Menge verfügbar ist und unsere Unternehmen die Technologie bei uns schnell zur Marktreife bringen. Dafür stellen wir heute schon die Weichen. Darum unterstützen wir die baden-württembergischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen heute schon mit über 100 Mio. Euro. Die Wasserstoff-Roadmap zeigt den Weg, wie in Baden-Württemberg eine zukunftsfähige Wasserstoffwirtschaft aufgebaut wird. Unsere Unternehmen werden wir beim europäischen Großprojekt IPCEI Wasserstoff mit den erforderlichen Mitteln über eine Kofinanzierung fördern. Damit unterstützen wir gezielt den Hochlauf der Wasserstofftechnologie. Beim Rollout der Wasserstofftechnologie werden wir uns eng mit dem Bund abstimmen, z. B. wenn es um die Pipelines für den Import von grünem Wasserstoff geht.“
PM Baden-Württembergischer Industrie- und Handelskammertag