Corona-Umfrage Industrie:

Schmalzl: Industrie braucht Maßnahmenpaket gegen dramatischen StellenabbauPolitik muss Rahmenbedingungen für Kernbranche jetzt anpassen

Um einen dramatischen Stellenabbau in Baden-Württemberg zu verhindern, braucht die Industrie im Land ein differenziertes Maßnahmenpaket. Ohne Verlängerung des 21-monatigen Kurzarbeitergeldes über den 31.12.2020 hinaus, weitere Anpassungen und Korrekturen im Steuerrecht, Entbürokratisierung, den raschen Ausbau des Glasfaser- und Mobilfunknetzes sowie Innovations- und Start-Up-Förderung wird nach Ansicht der Industrie- und Handelskammern in Baden-Württemberg ein erfolgreicher Neustart für die Kernbranche des Landes nicht gelingen, stellt Johannes Schmalzl klar, Hauptgeschäftsführer der IHK Region Stuttgart, der beim BWIHK für Fragen der Konjunktur und Beschäftigung zuständigen Kammer.

Die Industrie stellt knapp 25 Prozent der Arbeitsplätze und 32 Prozent der Wertschöpfung in Baden-Württemberg. Umso mehr geben die aktuellen Beschäftigungspläne der Industrie Anlass zur Besorgnis: rund 40 Prozent der Industriebetriebe planen einer kürzlich durchgeführten BIHK-Umfrage zufolge Personal abzubauen, 56 Prozent rechnen mit gleichbleibenden Beschäftigtenzahlen, nur zwei Prozent wollen mehr Personal einstellen. Die drastischen Stelleneinsparungen resultieren aus der über Wochen andauernden Produktionseinstellung sowie dem anhaltenden Rückgang der Nachfrage: 81 Prozent der Unternehmen verzeichnen Nachfragerückgänge und 44 Prozent berichten über die Stornierung bereits eingegangener Aufträge. Dabei klagen 96 Prozent der befragten Industriebetriebe über sinkende Inlandsnachfrage, 79 Prozent über fallende Nachfrage aus der EU, 60 Prozent melden geringere Auftragseingänge aus dem Nicht-EU-Ausland. „Die Umfrageergebnisse, der für das Land so wichtigen Branche, sind beängstigend“, so Schmalzl. Demnach erwarten 70 Prozent der teilnehmenden Industriebetriebe für 2020 einen Umsatzrückgang im zweistelligen Bereich. Lediglich gut vier Prozent spüren keine negativen Auswirkungen des Corona-Virus auf Ihre Geschäfte. 26 Prozent der Unternehmen berichten von Liquiditätsengpässen. Sechs Prozent droht nach eigenen Angaben sogar die Insolvenz. „Die Industrie braucht neben aktuellen Hilfen bessere Rahmenbedingungen“, so Schmalzl. „Die Soforthilfen löschen das Feuer, aber wir brauchen in den nächsten Monaten längerfristig wirksame Instrumente.“

Liquiditätsengpässe vermeiden
Die aktuell von Bund und Land ergriffenen Maßnahmen wie Kurzarbeitergeld, Steuerstundungen und Soforthilfen sind laut BWIHK gut und richtig. Der avisierte Beteiligungsfonds des Landes könnte ein erfolgversprechendes Überbrückungskonstrukt in der Krise sein. Mit der auf 100 Prozent ausgeweiteten Staatshaftung für KfW-Kredite wird der Auszahlungsprozess für die Betriebe mit existenziellen Liquiditätsengpässen stark beschleunigt. „Viele Unternehmen werden aber noch auf Monate hinaus mit den Folgen der Coronakrise zu kämpfen haben. Deshalb sind weitere Unterstützungsmaßnahmen erforderlich“, sagt Schmalzl. Für mehr Liquidität könne zum Beispiel die Rücknahme der Vorfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge sorgen, die immer noch zu einer hohen finanziellen Belastung, gerade kleinerer Betriebe führt.

Verlustrücktrag ausweiten
So greife auch die Verrechnung von Verlusten im aktuellen Steuerjahr mit Gewinnen des Vorjahres zu kurz. In vielen Unternehmen übersteigen schon jetzt die Verluste die Obergrenze für den Verlustrücktrag und Betriebe berichten, dass bereits der komplette Vorjahresgewinn aufgezehrt worden ist, so dass eine Ausweitung des Rücktrags auf weitere Vorjahre notwendig wird. Der Verlustrücktrag muss so ausgestaltet werden, dass die Begrenzung des Rücktragvolumens aufgehoben wird und der unbeschränkte Verlustrücktrag in alle noch offenen Veranlagungszeiträume möglich ist.

Gesamtsteuerbelastung senken
Die effektive Gesamtsteuerbelastung muss auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau abgesenkt und substanzbesteuernde Elemente, wie die Hinzurechnungen bei der Gewerbesteuer, müssen abgebaut werden. Dies gilt derzeit umso mehr, da von der Corona-Pandemie betroffene Betriebe gezwungen sind, verstärkt Fremdkapital aufzunehmen.

Maßnahmen zur Innovations- und Start-Up-Förderung gestalten
Die Innovationsförderung muss breitenwirksam, technologieoffen und thematisch diskriminierungsfrei erfolgen, damit auch Anträgen mit niedrigerer Innovationshöhe Zugang zur öffentlichen Forschungsförderung ermöglicht wird. Damit auch kleine oder mittlere Unternehmen innovationsorientiert agieren können, bedarf es der Entbürokratisierung sowie Vereinfachung der Antragsverfahren und Abrechnungsvorschriften. Förderprogramme sollten so angepasst werden, dass auch Unternehmen mit 250 bis 500 Mitarbeitern gefördert werden. Mit Technologie-Scouting können kleine und mittlere Unternehmen Impulse aus der Forschung erhalten und ihre Geschäftsmodelle neu ausrichten. Bei den Unterstützungsmaßnahmen muss auch an gezielte Fördermaßnahmen für Start-Ups gedacht werden, die bei den umgesetzten Unterstützungsmaßnahmen bisher keine Rolle spielen.

Digitale Infrastruktur ausbauen
Laut IHKs sollten lang- und mittelfristige Hilfen vor allem in Form von staatlichen Investitionen in den Ausbau der digitalen Infrastruktur, Innovationen, Automation und auch insbesondere in die Aus- und Weiterbildung fließen. Damit würden Betriebe unterstützt, Vier von zehn Industrieunternehmen planen die Digitalisierung ihrer Geschäftsprozesse zu forcieren. Ein Viertel der Betriebe stellt sein Geschäftskonzept um. „Für solche Prozesse und den dafür nötigen Ausbau der digitalen Infrastruktur wirkt die Krise als Treiber und Katalysator. Politik und Verwaltung müssen handeln“, so Schmalzl.

Gewerbeflächen bereitstellen
Im Südwesten werden dringend neue Flächen gebraucht, damit ortsansässige Betriebe sowie Unternehmen, die von außen hinzukommen, die benötigten Geschäftsmodelle und Technologien umsetzen können. An eine Rückverlagerung nach Deutschland denkt laut Umfrage jedes zehnte Industrieunternehmen. „Die Corona-Krise kann bei einigen Betrieben zur Neubewertung ihrer globalen Abhängigkeiten führen. Sollten Betriebe tatsächlich Standorte nach Deutschland verlagern, brauchen wir eine Willkommenskultur und keine Ablehnung einzelner Kommunen“, sagt Schmalzl.

Wertschöpfungsketten sichern
Ein Grund für mögliche Rückverlagerungen sind durch Corona gestörte Wertschöpfungsketten. 16 Prozent der Betriebe suchen nach neuen Lieferanten. Deshalb hat das Wirtschaftsministerium des Landes bei den IHKs eine Kontaktstelle eingerichtet. Ziel ist es, die Wirtschaft bei Lieferketten-Problemen zu unterstützen. Anlaufstelle für die Betriebe ist die IHK Region Stuttgart, die für konkrete Fragen unter der Mail-Adresse kontaktstelle-lieferketten@stuttgart.ihk.de zur Verfügung steht.

PM Baden-Württembergischer Industrie- und Handelskammertag

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