Digitalisierung: Viele Firmen hinken hinterher – BVMW sorgt sich um die Wettbewerbsfähigkeit von kleinen und mittleren Betrieben

Viele kleine und mittelständische Unternehmen in der Region Stuttgart hinken der schnell fortschreitenden Digitalisierung hinterher und sind hinsichtlich der konkreten Auswirkungen auf ihr zukünftiges Geschäft immer noch unzureichend informiert. Darauf hat jetzt der Kreisvorsitzende des Bundesverbandes Mittelständische Wirtschaft (BVMW), Lothar Lehner, hingewiesen und beruft sich auf zahlreiche Unternehmergespräche in letzter Zeit. Die Lücken in der Digitalisierung führt Lehner auf nicht bzw. zu wenig vorhandene digitale Fachkompetenzen in den Betrieben zurück.

„Viele Unternehmen werden von der Entwicklung im Bereich Digitalisierung überrollt“, zeichnet BVMW-Kreisvorsitzender Lothar Lehner ein Bild von der Lage insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen im Landkreis Göppingen und Umgebung. Eine Einschätzung, die auch Jürgen Kreuzer, ebenfalls Mitglied im BVMW, teilt. Der Softwareentwickler und Inhaber der Process and Automation Software in Neuhausen auf den Fildern kennt die Situation der Betriebe in der Region so gut wie kein Zweiter, hilft er doch schon seit vielen Jahren Firmen bei der Digitalisierung auf die Sprünge und weiß, wo den Unternehmern der Schuh drückt.

„Viele Firmen stehen inzwischen mit dem Rücken an der Wand“, schildert Kreuzer die Lage. Viel zu lange hätten Unternehmer die Digitalisierung auf die leichte Schulter genommen und gemeint, wenn man über E-Mail, Excel und ein ERP-Programm verfüge, sei digitalisiert genug, weiß Kreuzer. Über lange Zeit hinweg hätten viele Firmeninhaber die Dimension der Digitalisierung sowie deren Auswirkungen auf konkrete Geschäftsabläufe nicht fokussiert und sich damit auch nie ernsthaft mit den tatsächlichen Notwendigkeiten auseinandergesetzt. „Oft haben nicht qualifizierte Mitarbeiter die Digitalprojektierung aufs Auge gedrückt bekommen und sollten diese dann mal so nebenher, zu ihren üblichen Aufgaben, durchführen. Dann gab es noch einen ein- oder zweitägigen Workshop und schon sollte es losgehen. Von dem, was dabei rauskam, kann ich inzwischen ein Lied singen“, berichtet DiplomIngenieur Kreuzer, der mit seinem Team etwa 20 Firmen im Jahr ins digitale Zeitalter versetzt, aus seinen Erfahrungen.   Inzwischen sei die Digitalisierung soweit fortgeschritten, dass selbst teure Schulungen von Mitarbeitern den Nachholbedarf in den Firmen nicht wettmachen können. „Fort- und Weiterbildungen dauern zu lange und zudem fehlt dann immer noch die notwendige Erfahrung im Umgang mit der Digitalisierung. Die Lösung: Unternehmen, die jetzt erst so richtig loslegen, müssen sich hochqualifizierte Mitarbeiter, mit Erfahrung im Bereich Digitalisierung/Industrie 4.0 einkaufen. „Diese müssen dann die Digitalisierung im Unternehmen voranbringen und die Projekte aktiv planen und umsetzen. Und zwar als alleinige Aufgabe. Diese Mitarbeiter müssen direkt der Geschäftsleitung unterstellt sein und von dieser aktiv unterstützt werden“, rät Kreuzer. „Es ist die einzige Chance, das Thema noch in einem adäquaten Zeitrahmen umzusetzen.“

Allerdings: Die notwendigen Informatiker und Softwareentwickler sind auf dem Markt derzeit so gut wie nicht zu bekommen – und eben mal schnell schon gar nicht.  Kreuzer weiß wovon er spricht, sucht er doch selber weitere Mitarbeiter, um die starke Nachfrage der Unternehmen bedienen zu können. „Bis wir da jemanden haben, ist ein halbes Jahr rum“. Lehner: „Umso wichtiger ist es, dass gerade kleine und mittlere Unternehmen über ein leistungsfähiges Beziehungs-Netzwerk auf Geschäftsebene verfügen.“

Dass sich die Digitalisierungsproblematik aktuell so zuspitzt hängt nach Meinung Kreuzers mit dem hohen Grad der Digitalisierung bei den großen Unternehmen zusammen, die ganze Heerscharen an Softwareentwicklern und Informatikern beschäftigen. „Viele unserer Betriebe hier in der Region sind Zulieferer für die Großen. Und wenn die auf einem gewissen Digitalisierungslevel sind, stehen kleine Betriebe, die mit der Digitalisierung noch in den Kinderschuhen stecken, vor großen Herausforderungen.

„Die digitale Aufholjagd haben die Unternehmer weitestgehend selbst zu lösen. Die aktuell bestehenden Förderprogramme bilden allenfalls den berühmten Tropfen auf den heißen Stein. Sie müssen diese Entwicklung jetzt mit Priorität 1 angehen und auch entsprechende Budgets zur Verfügung stellen“, analysiert Lehner kritisch.

„Die Kammern und Berufsverbände haben nicht früh und laut genug darauf hingewiesen, wie notwendig in diesem Bereich ein Engagement ist“, so Kreuzer ergänzend. Erst als mehr und mehr das Schlagwort von der Industrie 4.0 die Runde machte, sei vielen bewusst geworden, dass man die Digitalisierung nicht weiter als „lästiges Übel“ oder „Spinnerei“ von wenigen Einzelnen vor sich herschieben kann. In anderen Industrieländern sei man mit der Digitalisierung schon um einiges weiter, berichtet Kreuzer. Und nicht nur da. Selbst in den so genannten Schwellenländern spiele man schon in einer anderen digitalen Liga als hier in Deutschland.

Dass der rückständige Digitalisierungsgrad in den kleinen Unternehmen mit der schlechten Infrastruktur im Datennetz zusammenhängen könnte, will Kreuzer nicht abstreiten. „Wir haben ja alle auf die Cloud gesetzt, um größere Datenmengen zu speichern. Doch davon sind wir jetzt wieder weg, nachdem man gerade auch im ländlichen Raum auf Grund des schlechten Netzes acht, zehn Minuten warten muss, bis eine größere Datenmenge wieder am Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Das ist niemandem, der mit Daten arbeiten muss, zuzumuten“, beschreibt Kreuzer ein Beispiel für den Zustand der Infrastruktur, die sich erst jetzt langsam verbessere.

Lothar Lehner beobachtet die Situation bei der Digitalisierung mit großer Sorge. Für die Unternehmen falle der Aufholprozess in diesem Bereich mit dringend notwendigen Innovationen und Investitionen im Produktionsprozess zusammen. „Für viele kleine und mittlere Betriebe ist diese Doppel-Belastung, auch unter dem Aspekt der Finanzierung, kaum noch zu bewältigen,“ ist sich der BVMW-Kreisvorsitzende sicher.

Lehner appelliert deshalb an die Politik, für kleine und mittlere Unternehmen, Finanzierungsprogramme aufzulegen, die vom üblichen Rating-Verfahren entkoppelt werden, z. B. auch durch innovative Beteiligungsmodelle von Förderbanken, die über das bestehende Angebot deutlich hinaus gehen. Lehner weiter: „Die Digitalisierung von Produktionsabläufen und deren Vernetzung bringt schnell 30% bis 40% Produktivitätssteigerungen, die hierfür notwendigen Investitionen liegen auf der anderen Seite auch bei kleineren Unternehmen regelmäßig im fünf- oder 6-stelligen Bereich.

PM Lothar Lehner Selbständiger Repräsentant des BVMW e. V.

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