Polyneuropathie – wenn die Füße kribbeln, brennen und stechen

„Mein Arzt hat bei mir eine Polyneuropathie festgestellt“, berichtet Frau Irmgard L. Herrn Prof. Sommer in der Spezialambulanz der Klinik für Neurologie im Göppinger Christophsbad. Sie ist erstaunt, als Prof. Sommer sie so detailliert über ihre Beschwerden befragt, sich nach allen möglichen Vorerkrankungen erkundigt, sie anschließend neurologisch im Hinblick auf Kraft, Feinmotorik, Sensibilitätsstörungen und Reflexe untersucht. Es folgen elektrische Nervenleitungsmessungen und eine Blutabnahme. Diese detaillierte Untersuchung ist Voraussetzung für eine angepasste Therapie.

Die Polyneuropathie zählt zu den Erkrankungen des peripheren Nervensystems. Sie betrifft mehrere Nerven, die außerhalb von Gehirn und Rückenmark – dem zentralen Nervensystem – liegen. Die Folge sind Empfindungs- und Funktionsstörungen in jenen Körperregionen, die von den geschädigten Nerven versorgt werden. Der Experte Prof. Dr. med. Norbert Sommer, Chefarzt der Klinik für Neurologie im Klinikum Christophsbad und Mitautor des Buches* „Polyneuropathien in der Praxis“, erklärt das häufige Krankheitsbild:

„Polyneuropathie ist keine Diagnose, jedenfalls keine vollständige. Es ist lediglich ein Überbegriff für etwa 200 verschiedene Krankheiten, genauso wie z.B. Kopfschmerz oder Schwindel, worunter sich sehr viele verschiedene oft harmlose, aber manchmal auch schwerwiegende Störungen verbergen können.“ Der Begriff Polyneuropathie bedeutet, dass die sogenannten peripheren Nerven (griechisch: neuron), die außerhalb von Gehirn und Rückenmark in die „Peripherie“ laufen und dort die Muskelaktivität steuern und sensible Eindrücke wie Berührung, Schmerz, Temperaturempfindung weiterleiten, betroffen sind, und zwar in ihrer Gesamtheit. In der Regel sind also viele (griechisch: poly) kleine Nervenäste in den Prozess einbezogen.

Meist hat der Patient vor allem an den Füßen symmetrische Reizerscheinungen in Form von Pelzigkeits- oder Taubheitsgefühl, Missempfindungen, Schmerzen und eine reduzierte Temperatur- und Schmerzempfindung. Daraus können eine Gangunsicherheit, aber auch eine Muskelschwäche, Krämpfe und ein Schwund der Muskulatur resultieren. Oftmals treten allerdings Abweichungen und Sonderfälle auf, weshalb der Neurologe eine Polyneuropathie auf das genaueste gegenüber Gehirn-, Rückenmarks- und Muskelerkrankungen abgrenzen muss.

Eine der häufigsten Ursachen für eine Polyneuropathie ist der Diabetes mellitus. Darüber hinaus gibt es eine Reihe anderer Stoffwechselstörungen, die sehr ähnliche Symptome auslösen können. Auch Alkohol-Missbrauch kann eine Ursache sein. Eine wesentliche Gruppe von Patienten mit Polyneuropathie hat angeborene Störungen ihrer Nervenfunktionen. Das heißt, ihre Symptome treten meist schon vor dem 40. Lebensjahr auf und sind oft bei Familienangehörigen in ähnlicher Form bekannt. Eine besonders wichtige Gruppe von Polyneuropathien hat eine entzündliche, autoimmune Ursache. Hier kommt es durch eine Fehlsteuerung des Immunsystems (wie z.B. bei rheumatischen Erkrankungen, multipler Sklerose oder Morbus Crohn) zu einem Angriff auf das Nervensystem. Auch wenn diese Erkrankungen durchaus zu erheblichen neurologischen Beeinträchtigungen führen können, sind sie für den Neurologen mit diversen gut abgestimmten immuntherapeutischen Interventionen dankbar zu behandeln und oft doch einzudämmen. Übrigens: Zeckenbisse oder Borrelieninfektionen führen nur äußerst selten zu Polyneuropathien.

Die Behandlung einer Polyneuropathie richtet sich in erster Linie nach der Ursache. „Gelingt es, die Grunderkrankung erfolgreich zu behandeln oder Risikofaktoren auszuschalten, wird sich die Polyneuropathie oft bessern oder sogar ganz zurückbilden“, sagt Prof. Sommer. „Ist dies nicht möglich, versuchen wir, zumindest die Symptome zu lindern.“

Patienten lassen sich am besten von ihrem Neurologen beraten, welche Therapie im individuellen Fall geeignet ist – und welche Behandlung die gesetzlichen Krankenkassen erstatten.

*Buch:

Polyneuropathien in der Praxis (mit Fallbeispielen)

Horst Wiethölter, Norbert Sommer

UNI-MED Verlag AG Bremen 2015

ISBN 978-3-8374-224-3

PM

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