Baehrens: Dammbruch in der klinischen Forschung befürchtet

Bereits vor der Sommerpause sollte das „Vierte Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ (AMG) verabschiedet werden. Dies wurde aufgeschoben, weil es Bedenken zu dem sensiblen Thema gruppennütziger Forschung an nicht Einwilligungsfähigen gab.

Gruppennützige Forschung bedeutet, dass sie den Betroffenen selbst keinen medizinischen Nutzen bringt. Bisher ist die Forschung an nichteinwilligungsfähigen Menschen nach dem Arzneimittelrecht ausgeschlossen. Der nun verabschiedete Gesetzentwurf hebt dieses Verbot teilweise auf. Weiterhin geschützt bleiben Menschen mit geistiger Behinderung sowie Minderjährige. Für nichteinwilligungsfähige Erwachsene, z.B. Menschen mit Demenz oder Psychosen, gilt jetzt: Sie können auch dann an klinischen Forschungen beteiligt werden, wenn kein individueller Nutzen erreicht werden kann. Voraussetzung ist allerdings, dass die Patienten noch im Zustand ihrer Einwilligungsfähigkeit in einer schriftlichen Verfügung und nach ärztlicher Aufklärung ihr Einverständnis zu einer späteren Teilnahme erklärt haben.

Diese Entscheidung wurde nach einem sorgfältigen Beratungsprozess im Deutschen Bundestag mit zwei Expertenanhörungen und einer intensiven Debatte im Plenum getroffen.

Es geht hier um Forschung an besonders verletzlichen Menschen, wie z.B. Demenzkranken. Diese war bisher aus guten Gründen dann verboten, wenn sie nicht zumindest mit der Wahrscheinlichkeit eines individuellen Nutzens verbunden ist. Dieser hohe Schutzstandard hätte aus meiner Sicht unbedingt erhalten werden müssen.

Die nun vorgesehene ärztliche Beratung ist ein Feigenblatt. Denn es kann dort nur allgemein über potenzielle klinische Studien informiert werden. Weder das konkrete Ziel noch Forschungsdesign und -methoden können im Vorhinein – also zehn, 20 oder 30 Jahre vor Eintritt der Nichteinwilligungsfähigkeit – bekannt sein.

Die Belastungen, denen gerade schwer demenziell Erkrankte durch Arzneimittelstudien ausgesetzt werden könnten, sind somit im Vorhinein schwer abschätzbar. Gerade für Menschen, die sich nur noch schlecht orientieren können, sind Eingriffe in den Tagesrhythmus oder ein Krankenhausaufenthalt zum Zweck der Studienkontrolle besonders schwer zu verkraften. Und wer meint, etwa ein MRT des Kopfes sei ein geringfügiger Eingriff, möge sich einmal vorstellen, was es bedeutet, einen Menschen, der den Sinn dieses Vorgangs nicht versteht, auf einer Liege so festzubinden, dass der Kopf nicht bewegt werden kann und ihn dann in eine enge und laute Röhre zu schieben.

Insofern halte ich die nun beschlossene Regelung für ethisch äußerst bedenklich und habe mich klar gegen diese Medikamentenversuche positioniert. Im parlamentarischen Beratungsverfahren habe ich mich dem Antrag angeschlossen, der die alte Regelung beibehalten wollte. Leider hat sich dieser Antrag nicht durchgesetzt.

PM

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