Schulreform geht in die Anhörungsphase

Das neue Schulgesetz, das der Ministerrat am Dienstag (23. Juli) für die Anhörung freigegeben hat, enthält zahlreiche Neuerungen für die baden-württembergische Schullandschaft. Zum ersten Mal überhaupt liegt der Schwerpunkt einer Bildungsreform dabei explizit auf dem Anfang der Schulkarriere, noch vor der ersten Klasse.

Kultusministerin Theresa Schopper sagte im Anschluss an die Kabinettssitzung: „Wir bringen heute eine große Bildungsreform auf den Weg – das ist ein echter Paradigmenwechsel für unser Schulsystem. Die Landesregierung nimmt dabei besonders die Kinder in den Blick, die weniger gute Startbedingungen haben. Mindestens jedes fünfte Kind erreicht in der Grundschule die Mindeststandards im Lesen, Schreiben und Rechnen nicht. Hier steigen wir bewusst schon vor der Einschulung ein und machen Sprachförderung zum absoluten Mittelpunkt. Denn klar ist: das Beherrschen der Sprache ist der Schlüssel zum Lernerfolg.“

SprachFit – auf den Anfang kommt es an

Aufwachsend ab dem Schuljahr 2024/2025 beginnt unter dem Namen SprachFit bereits im Jahr vor der Einschulung ein intensives Sprachtraining für alle Kinder, die bei der Einschulungsuntersuchung einen intensiven sprachlichen Förderbedarf zeigen. Der Endausbau mit landesweit insgesamt 4.200 Gruppen wird im Schuljahr 2027/2028 abgeschlossen sein.

Für Kinder, die bei Schulstart weiterhin Förderbedarf aufweisen oder noch nicht die nötigen Vorläuferfertigkeiten besitzen, werden außerdem ab 2026/2027 in Grundschulen so genannte Juniorklassen eingerichtet. Dort werden sie ein Schuljahr lang intensiv auf die Grundschule vorbereitet. 832 Standorte werden dafür stufenweise aufgebaut. Im Schuljahr 2028/2029 soll der flächendeckende Ausbau erreicht sein. Zu diesem Zeitpunkt wird auch die Verbindlichkeit der Sprachförderung eintreten.

„Wir haben die klare Priorität, dass am Ende der Grundschulzeit jede und jeder die Basiskompetenzen beherrschen muss. Das heißt: sicher Lesen, Schreiben und Rechnen. Denn wer in den frühen Jahren zurückbleibt, wer nicht gut Deutsch sprechen kann oder wer beim Addieren und Subtrahieren unsicher ist, hat später kaum noch eine Chance, das wieder aufzuholen“, betonte Schopper.

Ein neues G9 für eine neue Zeit

Ein weiterer Schwerpunkt der Bildungsreform ist das neue neunjährige Gymnasium, das ab dem Schuljahr 2025/2026 mit den Klassen 5 und 6 aufwachsend die Regelform sein wird. Die Schulen können dabei G8-Züge einrichten. Inhaltlich handelt es sich nicht um eine Rückkehr zur früheren Form des neunjährigen Gymnasiums, sondern die neun Schuljahre werden zeitgemäß ausgestaltet.

„Klar ist: Nur, wenn wir unseren Kindern die richtigen Kompetenzen und Fähigkeiten für die Herausforderungen von morgen mitgeben, bleibt Baden-Württemberg auch zukünftig ein starkes Land mit hoch qualifizierten Menschen und einer innovativen Wirtschaft. Deshalb ist mir die digitale Bildung und die Demokratiebildung besonders wichtig“, so Schopper.

Das Kultusministerium hat in den vergangenen Monaten gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis ein innovatives G9-Konzept erarbeitet, das die Ansprüche und Herausforderungen der Zukunft in den Blick nimmt.

„Wir setzen bei der Weiterentwicklung des Gymnasiums dort an, wo Baden-Württemberg in der Vergangenheit stark war und auch in der Zukunft stark bleiben soll: Bei den Naturwissenschaften. Zusätzlich erweitern wir die Kompetenzen in Informatik, Medienbildung und Künstlicher Intelligenz“, sagte Schopper.

Im Rahmen der G9-Umstellung wird auch eine verbindlichere Grundschulempfehlung eingeführt. Bereits ab nächstem Schuljahr gilt die Regel: „2 aus 3“. Das bedeutet: Für den Besuch des Gymnasiums sind in Zukunft neben dem Wunsch der Eltern entweder die Empfehlung auf Grundlage entsprechender schulischer Leistungen oder aber – alternativ – die erfolgreiche Teilnahme am landesweiten Kompetenztest „Kompass 4“ ausschlaggebend. Falls beides keine Prognose für den Schulerfolg am Gymnasium zulässt, kann als zusätzliche Möglichkeit ein Potenzialtest den Zugang zum Gymnasium ermöglichen. Durch diese Maßnahmen soll vermieden werden, dass Kinder, die den Leistungserwartungen am Gymnasium nicht gerecht werden können, dauerhaft frustriert werden und im schlimmsten Fall die Freude am Lernen verlieren.

Das neue G9 umfasst fünf zentrale Innovationen:

  1. Basiskompetenzen: Das Beherrschen der Grundlagen ist essenziell. Darum wird ein Schwerpunkt auf die Grundlagenfächer in der Unterstufe gelegt. Konkret bedeutet das: Jeweils eine Stunde mehr in den Klassen 5 und 6 für die Fächer Deutsch, Mathematik und die erste Fremdsprache mit klarer Diagnostik und daran anschließender adaptiver Förderung in Gruppen mit passendem Leistungsniveau („flexible grouping“).
  2. Die MINT-Fächer gewinnen noch mehr an Bedeutung. Deshalb werden besonders die Fächer Mathematik, Physik und Chemie gestärkt. Für Klasse 7 ist ein projekthaft angelegter naturwissenschaftlicher Unterricht im Ankerfach Physik vorgesehen. Außerdem werden die Kompetenzen im Bereich Informatik/Künstliche Intelligenz und Medienbildung in einem eigenen Schulfach für alle Schülerinnen und Schüler verankert.
  3. Demokratiebildung: Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt braucht es bei den jungen Menschen ein besonderes Verständnis und Achtung für die Demokratie und ihre im Grundgesetz verankerten Werte. Darum wird der Bereich unter Einbezug außerschulischen Engagements in Klasse 11 im Fach Gemeinschaftskunde vertieft. Der Bereich Demokratiebildung/Gesellschaftswissenschaften wird zudem insgesamt über die Fächer Geografie und Gemeinschaftskunde gestärkt. Die zusätzliche Unterrichtszeit ist auf die Themen Demokratiebildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) fokussiert und erfolgt im praxis- und projektorientierten Unterricht.
  4. Berufliche Orientierung: Für ein besseres Verständnis der eigenen Fähigkeiten und den damit verbundenen beruflichen Perspektiven wird die berufliche Orientierung im Fach Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung ausgebaut und um neue verbindliche Praktikums- und Praxiselemente ergänzt.
  5. Individuelles Schülermentoring: An den Übergängen von der Unter- zur Mittelstufe sowie von der Mittel- zur Oberstufe können Schülerinnen und Schüler in den entscheidenden Entwicklungsphasen künftig besser unterstützt werden.

 

„Mit diesen Schwerpunktsetzungen reagieren wir auf Wissenschaft und Praxis und setzen darüber hinaus einen Großteil der Empfehlungen unseres Bürgerforums zur Dauer des allgemein bildenden Gymnasiums um“, sagte Kultusministerin Schopper.

Informatik, KI und Medienbildung an allen weiterführenden Schulen

Die neuen Innovationselemente werden in Teilen auch an den Hauptschulen/Werkrealschulen, Realschulen und Gemeinschaftsschulen umgesetzt. So wird in jeder Klassenstufe künftig eine Stunde Medienbildung, KI, Informatik unterrichtet.

„Ohne Informatik und KI kommt heute kaum ein Berufsbild aus. Mit der Bildungsreform werden deshalb die besonderen Profile und die Leistungsfähigkeit des Bildungsangebots an Realschulen, Gemeinschaftsschulen sowie Haupt-/Werkrealschulen geschärft und weiterentwickelt“, so Schopper.

Bei den Realschulen wird außerdem die Orientierungsstufe auf ein Jahr verkürzt. Die Kinder werden dann bereits in Klasse 6 auf dem grundlegenden (zum Hauptschulabschluss führenden) oder dem mittleren Niveau unterrichtet, sodass bereits ein Jahr früher homogenere Klassenverbände geschaffen werden können.

Da Gemeinschaftsschulen unterschiedliche Lernniveaus innerhalb eines Klassenverbands unterrichten, wird hier stattdessen das zentrale Element des Coachings gestärkt und erstmals auch mit Ressourcen unterfüttert.

Außerdem wird an Realschulen und Gemeinschaftsschulen neben der fundierten beruflichen Orientierung auch der Weg zum Abitur gestärkt – besonders über die beruflichen Gymnasien.

In allen Schularten werden zudem die schulartindividuellen, lebenspraktischen und berufsbezogenen Profile weiter betont.

Der Werkrealschulabschluss, den es in dieser Form nur in Baden-Württemberg gibt, wird nicht fortgeführt. Die Standorte bleiben jedoch erhalten und leisten weiterhin ihre wichtige Arbeit, junge Menschen zu einem ersten Abschluss und in eine gute berufliche Perspektive zu bringen. Es gilt weiter: Kein Abschluss ohne Anschluss. Werkrealschulen können ihren Schülerinnen und Schülern im Verbund mit oder in der Weiterentwicklung zu Realschulen oder Gemeinschaftsschulen einen klaren Pfad zu einem mittleren Abschluss aufzeigen.

Insgesamt erweitert die Landesregierung die Möglichkeit zur Verbundbildung im gesamten Schulsystem deutlich.

Das Gesetz geht nun in die Anhörungsphase. Die erste Lesung im Landtag ist noch für dieses Jahr vorgesehen.

PM Staatsministerium Baden-Württemberg

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