Vor 30 Jahren, am 18. April 1994, wurde das Projekt Stuttgart 21 (S21) erstmals öffentlich vorgestellt. Seitdem hat der BUND das Projekt stets kritisch begleitet und sich unermüdlich für den Natur-, Umwelt- und Klimaschutz und vor allem das Wohl der Fahrgäste eingesetzt. Zeit, zurückzublicken und Resümee zu ziehen!
Für BUND-Landesgeschäftsführer Martin Bachhofer sieht dieses Resümee ernüchternd aus: „Stuttgart 21 kann rückblickend nur als verkehrspolitischer Wahnsinn bezeichnet werden: Die Umwelt- und Klimabilanz ist äußerst zweifelhaft. Die Kosten haben sich mehr als vervierfacht – von ursprünglich geplanten 2,46 Milliarden Euro (4,8 Mrd. DM) im Jahr 1994 auf derzeit 11,4 Milliarden Euro. Die ursprüngliche geplante Inbetriebnahme für das Jahr 2008 wird sich um fast 20 Jahre verzögern und wichtige Abschnitte auf den Fildern fehlen dann immer noch. Mit einem reibungslosen Start ist aber auch dann bei all den Problemen mit dem Eisenbahnverkehrssicherungssystem ETCS und der Bereitstellung geeigneter Züge kaum zu rechnen. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Verantwortlichen aus der langen Liste von Fehlentwicklungen lernen.“
BUND hat immer wieder Alternativen aufgezeigt
Von Anfang an hat der BUND Baden-Württemberg den Prozess kritisch begleitet. Eine ausführliche Chronik findet sich auf unserer Webseite – hier einige Meilensteine:
1994 entsteht gemeinsam mit anderen Umwelt- und Verkehrsverbänden das Bündnis „Umkehr Stuttgart“, das immer wieder alternative Konzepte vorstellt. 2005 klagt der BUND gegen den Planfeststellungsbeschluss für Stuttgart 21. 2010 koordiniert und unterstützt der BUND zahlreiche Proteste und fordert eine bessere Öffentlichkeitsbeteiligung. Am sogenannten „schwarzen Donnerstag“ eskaliert die Situation, es kommt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen – Stuttgart 21 wird zum Lehrstück, wie Bürger*innenbeteiligung zu Großprojekten nicht ablaufen darf. Die damalige BUND-Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender und BUND-Regionalgeschäftsführer Gerhard Pfeifer setzen immer wieder Akzente für Umwelt, Klima und Passagiere, etwa im Schlichtungsprozess 2010 und beim Faktencheck zur Gäubahn 2022 – und erzielen einige Erfolge: Das Grundwassermanagement wird angepasst, der zweigleisige Ausbau der Großen Wendlinger Kurve beschlossen und der Regionalbahnhalt Stuttgart-Vaihingen ergänzt. Ohne das Wirken des BUND und anderer Verbände kaum vorstellbar. Auch der Standard bei Umwelt- und Sicherheitsmaßnahmen wird durch den Druck des BUND gehoben. Aktueller Streitpunkt ist der Erhalt der Gäubahn, für den sich der BUND und andere Verbände einsetzen.
Stuttgart 21 hat viele Nachteile mit sich gebracht
Gerhard Pfeifer, Regionalgeschäftsführer in Stuttgart, hat den Prozess von Anfang an begleitet und kann über einiges nur den Kopf schütteln: „Was wurde nicht alles an Energie aufgewendet und letztendlich an Treibhausgasen in die Luft geblasen – für 57 Kilometer neue Tunnel, zwei Tiefbahnhöfe, einen neuen Abstellbahnhof, etliche Brücken und die Verlegung von Stadtbahnstrecken. Die Stuttgarter Bevölkerung darf mindestens 16 Jahre Baulärm und Feinstaubschwaden über sich ergehen lassen, dafür dass ihr zentrales Grün zur Erholung verloren geht und die Frischluftversorgung des Kessels eingeschränkt wird. Ein starkes Stück in Zeiten galoppierenden Erwärmung mit zunehmend unerträglicher sommerlicher Hitze und sich verschlechternder Luftqualität! Ob es im Gegenzug dringend benötigten bezahlbaren Wohnraum im zukünftigen Rosensteinquartier geben wird, bleibt zweifelhaft.“
Die vielen Milliarden Euro für Stuttgart 21 hätten aus Sicht des BUND deutlich sinnvoller, etwa für den Ausbau und die Elektrifizierung von Bahnstrecken in ganz Baden-Württemberg, eingesetzt werden können, sagt Landesgeschäftsführer Bachhofer: „Für die Rheintalbahn, die Bodenseegürtelbahn, den zweigleisigen Ausbau der Gäubahn und auch für eine Modernisierung des Kopfbahnhofs. Damit wären wir heute im Ländle einen deutlichen Schritt weiter bei der Mobilitätswende.“
BUND setzt sich weiter für ein zukunftsfähiges Konzept ein
Angesichts immer gewaltigerer Herausforderungen bei Klimaschutz und Luftreinhaltung muss jetzt die Chance ergriffen werden, Stuttgart zu einem attraktiven und leistungsfähigen europäischen Bahnknoten auszubauen. Zur Einhaltung der Klimaziele im Verkehr, insbesondere der Verdopplung der Fahrgastzahlen bis 2030, ist es zwingend notwendig, den Tiefbahnhof und seine Zulaufstrecken sinnvoll um weitere Infrastruktur zu ergänzen.
Kombilösung statt Abriss
Der BUND fordert die Kombilösung mit dem Erhalt acht oberirdischer Gleise des heutigen Kopfbahnhofs. So gibt es auch zukünftig und bei erhöhtem Zugaufkommen genügend Gleiskapazitäten mit ausreichenden Umsteigezeiten und ohne sicherheitskritische Doppel- und Dreifachbelegungen an einem Bahnsteig. Auch bei zu erwartenden Störungen und Baumaßnahmen in den S21-Tunneln wäre ein zusätzlich verkleinerter Kopfbahnhof Gold wert. Für die städtebauliche Entwicklung bleibt bei der Kombilösung immer noch reichlich Platz im zukünftigen Rosensteinquartier, weil der dortige Abstellbahnhof auch mit der Kombilösung nach Untertürkheim verlegt wird.
Gäubahn erhalten
Die Panoramastrecke der Gäubahn darf nicht zum nächsten Opfer verfehlter Planungen werden, auch die geplante langjährige Unterbrechung der direkten Gäubahn-Anbindung an den Stuttgarter Hauptbahnhof lehnen wir entschieden ab. Langwierige Umsteigeverbindungen wären gleichbedeutend mit einem enormen Attraktivitätsverlust der Schiene für Millionen Baden-Württemberger*innen und unsere Schweizer Nachbarn und Nachbarinnen. Eine Rückverlagerung des Personenverkehrs auf die Straße wäre unvermeidbar – eine unverantwortliche Entwicklung für Klima und Umwelt.
Als BUND sind wir bereit, unsere Position anzupassen und erkennen Stuttgart 21 als Realität an. Wir hoffen, dass Stuttgart 21 bald und zügig in Betrieb geht! Wir und viele Bahnfachleute sind aber überzeugt, dass weitere Gleis- und Bahnsteigkapazitäten dringend benötigt werden (Kombi-Bahnhof), um eine Verkehrswende im Sinne eines erfolgreichen Klimaschutzes zu stemmen. Landesgeschäftsführer Bachhofer sagt abschließend: „Wir erwarten, dass Bahn und Politik sich ideologiefrei ehrlich machen – ein Verharren in dreißig Jahre alten S21-Schützengräben wäre verantwortungslos. Der BUND ist zum konstruktiven Dialog bereit.“
Weitere Informationen:
S21 Chronologie: Seit 30 Jahren begleitet der BUND das Projekt | ||
Webseite des BUND Baden-Württemberg zum Projekt Stuttgart 21 |
PM und für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Landesverband Baden-Württemberg