NABU: Verwaltungsvorschrift Refugialflächen ist wichtiger Schritt für Trendwende beim Artensterben in der Agrarlandschaft

„Mit zwei Jahren und acht Monaten Verspätung und nach einem langen Tauziehen zwischen Umwelt- und Landwirtschaftsministerium wurde heute endlich die ,Verwaltungsvorschrift Refugialflächen‘ veröffentlicht. Das ist ein wichtiger Schritt, um den dramatischen Rückgang der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft nicht nur zu stoppen, sondern auch umzukehren. Jetzt sind die landwirtschaftlichen Betriebe in Baden-Württemberg gefragt, Refugialflächen als wertvolle Rückzugsräume, vor allem für Insekten sowie Feld- und Wiesenbrüter anzulegen“, sagt der NABU-Landesvorsitzende Johannes Enssle.

Gemäß dem Biodiversitätsstärkungsgesetz müssen mittelfristig, also bis zum Jahr 2030, auf rund zehn Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen im Land Refugialflächen eingerichtet werden. Damit das gelingt, fordert der NABU die Landesregierung auf, die Förderangebote so attraktiv zu gestalten, dass sie von den landwirtschaftlichen Betrieben auch angenommen werden. Jede Landwirtin und jeder Landwirt könne hier einen wichtigen Beitrag leisten.

Positiv bewertet der NABU, dass die neue Verwaltungsvorschrift den mehrjährigen Blühflächen endlich den Stellenwert gibt, den sie verdienen. Mehrjährige Refugialflächen werden drei, besser noch fünf Jahre nicht landwirtschaftlich genutzt und können sich dadurch zu wertvollen Lebensräumen für Arten wie Braunkehlchen, Ackerhummel und Feldhamster entwickeln. Zu diesen Flächen zählen Niederhecken und mehrjährige Blühflächen und -brachen, Altgrasstreifen sowie selten gemähtes Grünland, wo vom Aussterben bedrohte Vogelarten wie Rebhuhn und Kiebitz leben. „Leider sind vielerorts diese Flächen die einzigen bunten Flecken inmitten eintöniger Getreideäcker und blütenfreier Futterwiesen. Mehr summende und zwitschernde Vielfalt hilft aber auch den landwirtschaftlichen Betrieben. Denn Refugialflächen mildern Hitzeperioden, weil sie mehr Wasser im Boden speichern. Sie beherbergen Insekten zur Bestäubung, schützen vor Erosion und tragen zur Bildung von Humus bei, durch den Nährstoffe und CO2 gebunden werden“, führt Enssle aus.

Der NABU-Landeschef weiter: „Aus eigenen Projekten und vielen Studien wissen wir, dass mehrjährige Blühflächen besonders wirksamen Artenschutz leisten. So konnte das Rebhuhn im Landkreis Tübingen mittels mehrjähriger Blühbrachen vor dem Aussterben gerettet werden. Wir sind froh, dass die Hänge- und Zitterpartie um die Verwaltungsvorschrift heute zu Ende ist. Es gibt noch viel zu tun, denn von 140.000 Hektar, die sich für artenreiche Blühbrachen anbieten, waren in 2021 gerade mal 327 Hektar als solche angelegt.

Hintergrund:

Mehrjährige Blühflächen schützen Tiere und Pflanzen, im Gegensatz zu einjährigen Blühflächen, wesentlich effektiver und das ganze Jahr über. Bodenbrüter darin auch im Winter und Frühjahr Schutz und Nahrung sowie Verstecke zur Brutzeit. Insekten, darunter viele Wildbienenarten, können in den hohlen Stängeln von abgeblühten Pflanzen überwintern oder nutzen den Hohlraum, um ihren Nachwuchs unterzubringen. Je hochwertiger die angelegten Refugialflächen, desto wirksamer sind sie für den Schutz der biologischen Vielfalt. Aufgrund ihres höheren Potenzials zum Schutz der Artenvielfalt haben sie auch eine höhere Flächeneffizienz: Um mit einjährigen Blühbrachen den gleichen Effekt zu erzielen wie mit mehrjährigen, müssten deutlich mehr Flächen dafür reserviert werden. Insofern kommen die mehrjährigen Maßnahmen auch der Landwirtschaft und der Lebensmittelproduktion zu Gute.

Der NABU hat im Januar 2023 ein zweijähriges Projekt gestartet, um Landwirtinnen und Landwirte zu beraten und zu motivieren, damit sie die gesetzlich geforderten Refugialflächen wirkungsvoll und für ihren Betrieb sinnvoll umsetzen können. „Landwirt-schaf(f)t Lebensraum – Refugialflächen für die Artenvielfalt“ wird mit Unterstützung der Stiftung Naturschutzfonds aus zweckgebundenen Erträgen der Glücksspirale gefördert. Das Ziel ist der Erhalt und die Förderung der biologischen Vielfalt auf Acker- und Grünlandflächen in Baden-Württemberg. Das Projekt will Landwirtinnen und Landwirte für die Bedeutung hochwertiger Refugialflächen sensibilisieren und für deren Anlage werben. Aktuelle Informationen finden Sie auf der Webseite unter www.NABU-BW.de/Refugialflaechen.

 

PM NABU (Naturschutzbund Deutschland), Landesverband Baden-Württemberg e. V.

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