Mehrere Monate lang haben sich 15 junge Menschen Gedanken darüber gemacht, wie die Zukunft einer Stadt aussehen kann. Für das Spinnweberei-Areal erarbeiteten angehende Architekten beeindruckende Entwürfe, die durch Klarheit, vielfältige Wohnungstypen, architektonische Finessen und ein Miteinander bestechen. Im Uditorium zeigten sie nun ihre Pläne.
Es ist ein Blick auf die nicht allzu ferne Zukunft von Uhingen, den etwa 50 Menschen am Montagabend im Uditorium erhalten haben. Denn sieben Studenten der Technischen Universität (TU) Graz präsentierten Entwürfe für das Spinnweberei-Areal an der Ulmer Straße, die sie mit acht weiteren Studierenden angefertigt haben, – anhand eines eindrucksvollen Modells des Quartiers, das Teil der internationalen Bauausstellung Stuttgart (IBA) 2027 sein soll. Das Modell wurde am Montag intensiv begutachtet, regte zu Gesprächen an und immer wieder zückten die Anwesenden, darunter auch Vertreter des Gemeinderats, ihre Handys, um Fotos zu schießen.
„Das Modell ist ein wahnsinnig gut erarbeiteter Vorschlag“, lobte etwa Architekt Sascha Bauer von STUDIO CROSS SCALE. Und dieses Lob kommt nicht von ungefähr. Denn Bauers Siegerentwurf des städtebaulichen Wettbewerbs aus dem Jahr 2021 für die 1,25 Hektar große Fläche in Uhingen diente als Grundlage für die Ideen der 15 jungen Frauen und Männer aus Österreich. „Das sind viele tolle Ideen und es ist ein stabiler Entwurf“, ergänzte auch Sonja Knapp, die bei der Stadtentwicklung GmbH aus Stuttgart (STEG) die Abteilung Bauland- und Projektentwicklung leitet und das Uhinger Projekt als Partner begleitet.
Für die Architekturstudierende der Professur für Architektur und Holzbau (am Institut für Architekturtechnologie der TU Graz) stellte das im Rahmen einer Entwurfsübung im Wintersemester 22/23 verwirklichte Projekt eine Besonderheit dar, erklärte Stephan Brugger, der die insgesamt 15 Studierenden in dem Projekt mit Professor Tom Kaden betreut hat. „Normalerweise sind unsere Projekte sehr theoretisch.“ Das sei anhand der Pläne für das Spinnweberei-Areal, auf dem Gewerbe, Dienstleistungen, produzierendes Handwerk, Wohnen und gemeinschaftlich genutzte Flächen vereint werden sollen, anders gewesen. „Wir konnten relativ schnell in das Thema einsteigen“, ergänzte Stephan Brugger. Die Arbeit und die anschließende Präsentation in Uhingen, zu der sieben Studierende aus Graz angereist waren, habe auch für die Studentinnen und Studenten einen Mehrwehrt: Die jungen Leute konnten etwas tun, was im künftigen Alltag als Architekten auch auf sie zukommt: ihre Arbeit einem kritischen Publikum präsentieren und auf die Entwürfe eingehen. „Das hatten wir in dieser Form erst zum zweiten Mal“, fügte Stephan Brugger hinzu.
Hinzu kommt eine weitere Neuheit: Normalerweise gestalten die jungen Frauen und Männer für ein und dasselbe Baufeld unterschiedliche Entwürfe. Dieses Mal aber erarbeiteten sie, aufgeteilt in Gruppen, für andere Bereiche des Gesamtgrundstücks ihre Ideen. „Sie mussten ihre Entwürfe aufeinander abstimmen, damit sie harmonisch sind und ein gesamtheitliches Bild ergeben“, ergänzte Stephan Brugger. Diese Herangehensweise führt dazu, dass die Holzhäuser auf dem Modell nicht wie eine am Reißbrett entworfene Satellitenstadt wirken, in der durch möglichst hohe Gebäude eine maximale Wohnfläche erreicht wird. Vielmehr sieht das Quartier wie ein natürlich entstandener Teil von Uhingen aus, in dem unterschiedliche Gebäudeformen und abwechslungsreiche Dachformen die Vielfalt architektonischer Stile versinnbildlichen.
„Die große Schwierigkeit war es für uns, die verschiedenen Gebäudegrößen an das Erscheinungsbild der Stadt und an das vorhandene Gelände anzupassen“, erklärte der angehende Architekt Daniel Lučić, der wie auch Bürgermeister Matthias Wittlinger dem Fernsehsender für ein Interview Rede und Antwort stand. „Das Quartier soll sich schließlich gut in die Umgebung einfügen.“ Der Fokus sei außerdem auf einem vielschichtigen Städtebau gelegen, „das wollten wir weiterentwickeln und diese Vielfalt auch anbieten“. Wichtig sei ihnen auch gewesen, ergänzte Student Moritz Aichriedler, eine Durchmischung und ein zerklüftetes Gesamterscheinungsbild zu erarbeiten.
Ins Detail stiegen die Studierenden anschließend ein und erklärten den Anwesenden ihre Ideen für jedes Baufeld. Fabian Schipflinger und seine Gruppenmitglieder etwa sehen eine Pflegestation und Café sowie variierende Wohntypen vor. „Wir wollen mit den unterschiedlichen Wohnungsgrößen – von der 1-Zimmer-Wohnung bis zur Wohnung für Familien – möglichst viele Menschen ansprechen.“ Außerdem könnten ein Spielplatz und Innenhof als Treffpunkt für die künftigen Bewohner dienen.
Mit einer kleinen Stadtbibliothek und einem Ort für Veranstaltungen fällt der Entwurf des zweiten Baufeldes auf. Auch ist die Nutzung des Gebäudes hinsichtlich unterschiedlicher Geschwindigkeiten der Nutzung durchdacht, wie Lisa-Maria Bürgler verriet. „Das Erdgeschoss dient durch das Angebot, etwa einen Kiosk, der schnellen Erledigungen, für Menschen die beispielsweise zum Zug müssen.“ Im zweiten Obergeschoss könnten eine Bar und Bibliothek dazu einladen, sich etwas länger aufzuhalten. „Und die darüberliegenden Geschosse dienen der ganztägigen Nutzung“, sagte Lisa-Maria Bürgler über den Entwurf. Die Studierenden hörten mit ihren Ideen aber nicht an der Grundstücksgrenze auf, sondern blickten auch auf die Umgebung. Deshalb wurde ein Durchgang zum Bahnsteig geplant – und auch eine Fahrradbrücke, um auf die andere Seite der Gleise zu gelangen.
Dem „Mehrgenerationenwohnen“ widmet sich die Gruppe im dritten Baufeld, sagte Alexander Gündera. Im Erdgeschoss des Hauses könnten in einem Bereich Wochenmärkte stattfinden. „Das soll einen Mehrwert für das gesamte Quartier bieten.“ Und abends könnte dieses Areal als Treffpunkt für die Menschen dienen. Miteinander ins Gespräch kommen, Zeitverbringen: Das könnte auch auf dem Dach geschehen, wo die Studierenden einen Dachgarten geplant haben. „Mit einem ruhigeren Bereich und einem aktiven Bereich für Sport oder Partys.“
Stark an den Entwurf von STUDIO CROSS SCALE hat sich die Gruppe im vierten Baufeld gehalten, sagte Anna-Lena Ritt über den Entwurf. Im Erdgeschoss der Bebauung ist eine handwerkliche Nutzung angedacht. Verschiedene Wohntypologien könnten darüber entstehen. „Wir wollen mit vielen Wohnmöglichkeiten unterschiedliche Menschen anlocken“, führte Anna-Lena Ritt weiter aus.
Mit dem geplanten Parkhaus im hinteren Teil des Grundstücks hat sich die Gruppe um Daniel Lučić im fünften Baufeld beschäftigt. „Wir haben den strengsten Eingriff vorgenommen und am meisten verändert“, machte er neugierig. Anstelle eines großen Blocks für das Parkhaus, wie im Entwurf von Architekt Sascha Bauer dargestellt, steht auf dem visionären Modell ein zerklüftetes Gebäude-Arrangement. Die angehenden Architekten behielten einen Teil der Massivität des Parkhauses bei, setzten aber mehrgeschossige Gebäude oben drauf. „Wir benötigen die Massivität als Schallschutz, um die Geräusche der Gleise vom Quartier fernzuhalten, wollten durch die zusätzliche Bebauung aber die Massivität etwas brechen“, begründete Mustafa Sari diese Optik. Aus Gründen des Brandschutzes soll das Parkhaus aus Beton gebaut werden, die darauf befindlichen Gebäude aber aus Holz. Und was könnte auf dem Parkhaus entstehen? Zum Beispiel ein Kindergarten und Aufenthaltsbereiche unter freiem Himmel.
Doch nicht nur die unterschiedlichen Gebäudehöhen – das höchste Gebäude wäre mit 19 Metern sogar höher als das Uditorium – und die abwechslungsreichen Dachformen (Satteldächer unterschiedlicher Neigung und Flachdächer unterschiedlicher Größe) fallen auf. Die Studierenden aus Graz haben manche Fassaden farblich hervorgehoben oder einzelne, bunte Elemente wie Balkone oder Geländer zur Auflockerung eingeplant.
Außerdem fällt der Anteil der vorhandenen Parkplätze relativ gering aus. Das sorgte im Anschluss für lebhafte Diskussion. Stadträtin Alexandra Staab (SPD) etwa lobte diesen Schritt als „sehr gut“ – räumte aber auch ein, dass eine Reduzierung der Stellflächen derzeit „Zukunftsmusik“ sei. Denn bislang gebe es in jedem Haushalt mindestens zwei Autos. UBU-Stadtrat Gerhard Daiber kritisierte jedoch die aus seiner Sicht geringe Anzahl an Stellplätzen. Die Entwürfe aus Graz sehen einen Faktor von 0,5 Stellplätzen pro Wohneinheit in einer Quartiersgarage vor. Daiber wünschte sich dagegen einen Faktor von 1,0. „In Uhingen haben wir weitestgehend einen Faktor von 1,5“, ergänzte Bürgermeister Matthias Wittlinger. „Davon werden wir, wenn die Prognosen der Experten zutreffen, wegkommen.“
Andreas Hofer, Intendant der IBA’27, erklärte den Anwesenden, in welche Richtung künftige Bauplanung geht: „Wir müssen die Funktionen näherzusammenbringen. Wir werden die Mobilität nicht senken, wenn die Angebote im gesamten Filstal verstreut sind“, betonte er. Im sogenannten Prototyping sowie im Bereich des Softwardesigns und der -entwicklung gebe es einen großen Flächenbedarf und großen Fachkräftemangel im hohen Einkommensbereich. Er empfiehlt daher, diesen Arbeitssektor im Spinnweberei-Areal anzusiedeln. „Wir machen hier etwas für die Zukunft. Aber anders als wir es gewohnt sind“, ergänzt er. Das sei eine große Herausforderung für alle. „Wenn wir uns nicht mit den Zukunftsfragen auseinandersetzen, werden wir die Zukunft nicht mitgestalten“, mahnte der IBA-Intendant. Die Umsetzung des Projekts soll kein Risiko für die Stadt sein, sondern sich auch finanziell lohnen.
„Dazu benötigen wir Investoren“, fügte Sonja Knapp von der STEG hinzu. Denn das große Ziel sei es, im Jahr 2027 einen Abschnitt bebauen zu können. Start soll nach aktuellem Stand aus Gründen der Lärmbeeinträchtigung und Machbarkeit im Bereich Ulmer Straße/Obere Bahnhofstraße mit drei Gebäuden sein. Und wie geht es nun weiter mit der Realisierung? Zunächst müsse der Entwurf an das Grundstück auch hinsichtlich Abstandsflächen angepasst werden. Ende des Jahres soll der Entwurf soweit überarbeitet sein, dass er als Basis für die konkrete Planung dienen kann. Und wer weiß, vielleicht finden sich auch einige Ideen der Studierenden aus Graz im endgültigen Plan wider? Denn ihr Modell dient lediglich als Ideensammlung. Hinsichtlich der aktuellen Situation in der Baubranche sei sie froh, ergänzte Sonja Knapp, dass die Ausschreibung nicht schon in diesem oder nächsten Jahr erfolgt. Sie sei aber guter Dinge, dass eine spätere Ausschreibung unter einem besseren Stern steht.
„Bei der Planung für die Zukunft kommen wir aus dem Jetzt“, warb Uhingens Bürgermeister Matthias Wittlinger für visionäre Visionen, die in Zukunft allgegenwertig sein könnten. Er sei dankbar darüber, dass die Stadt bei der Planung „für das große Projekt“ so viele und starke Partner habe und zeigte sich zuversichtlich, auch gemeinsam mit dem Gemeinderat, dieses besondere Vorhaben umsetzen zu können. „Die Entwicklung des Spinnweberei-Areals ist eines der wichtigsten Stadtentwicklungsprojekte in Uhingen seit dem Bau der B10 neu“, machte Matthias Wittlinger deutlich, der von den kreativen Ideen der jungen Menschen aus Österreich sichtlich beeindruckt war. „Sie haben so gute und neue Anregungen präsentiert, dass sie teilweise in das Konzept aufgenommen werden könnten.“
Hintergrund: Der Fokus der im Uditorium präsentierten Entwürfe liegt auf den Gebäuden – dem Aussehen, ihrem Arrangement und der Gestaltung der Wohnflächen. Die Grünflächen werden vom Büro Planstatt Senner aus Überlingen gestaltet und im Entwurf erst noch präsentiert, betont Uhingens Bürgermeister Matthias Wittlinger. „Das Grün wird kommen.“ Daniel Lučić empfahl ebenfalls, sich nicht vom Modell täuschen zu lassen: „Die Landschaft ist uns sehr wichtig, in unseren Entwürfen und dem Modell aber sehr zurückhaltend, damit man die Architektur besser erkennen kann.“
In enger Zusammenarbeit mit Vertretern der IBA’27 und der Stadt Uhingen entwickelte die Gruppe den städtebaulichen Entwurf des Studios CROSS SCALE aus Stuttgart und von Planstatt Senner aus Überlingen weiter, die den internationalen Städtebauwettbewerb gewonnen hatten.
Am Projekt der TU Graz beteiligten sich: Moritz Aichriedler, Lisa-Maria Bürgler, Alexander Gündera, Daniel Lučić, Anna-Lena Ritt, Mustafa Sari, Fabian Schipflinger, Annalena Arminger, Gloria Erhard, Wolfgang Humer, Helmut Kalcher, Jan Mikael Mustonen, Valentina Ofner, Jakob Schadner und Ylva Seierstad.
PM Stadt Uhingen