Die Zeit der Wiederaktivierung bzw. des Neubaus der Strecke von Göppingen nach Kirchheim/Teck ist noch nicht gekommen. Aber mann muss die Option weiter beleuchten und mit den Partnern im Landkreis Esslingen und dem Verband Region Stuttgart vertiefen. Hierzu braucht es weitere Gespräche.
Die Rentabilität könnte mit dem Deutschlandticket weiter steigen. Aber hierzu gibt es kurzfristig sicher noch keine gesicherten Erkenntnisse. Wenn sich alle drei Partner einig sind, was auf jeden Fall mehrere Monate dauern wird, dann kann man in eine detailierte Planung einsteigen. Dann wird erst einmal der Grundsatzbeschluss fallen müssen, ob man die durchgängige Bahn haben will oder nur die Stichstrecken Göppingen – Bad Boll bzw. Kirchheim/Teck – Weilheim. Auch die betroffenen Gemeinden werden in die weiteren Planungen eingebunden werden müssen. Was bedeutet, dass der Zug in zehn Jahren noch nicht fahren wird. Deshalb ist schnelle Verkehrsverbesserung durch den Expressbus von Göppingen nach Kirchheim/Teck als ggf. Vorlaufvariante nach wie vor wichtig. In die Diskussion eingebracht wurde auch eine Verländerung der Voralbbahn bis Wäschenbeuren.
Der Beschlussvorlage wurde einstimmig zugestimmt.
I. Beschlussantrag
1. Kenntnisnahme vom Bericht über die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie.
2. Die Verwaltung wird beauftragt mit den Projektpartnern zu klären, ob die Wirtschaftlichkeit der durchgebundenen Variante Göppingen – Bad Boll – Weilheim – Kirchheim (BOStrab/Mehrsystem) durch vertiefende Untersuchungen und ggf. veränderte Parameter noch erreicht werden kann. Dafür sind zunächst Gespräche mit den zuständigen Zuwendungsgebern Bund und Land erforderlich. Insbesondere bedarf es einer belastbaren Aussage zur Vereinbarkeit zeitnaher Verkehrsverbesserungen (z.B. Expressbus) mit der Förderfähigkeit von Reaktivierungs- und Neubauvorhaben.
3. Von weiteren Untersuchungen zur Reaktivierung der Hohenstaufenbahn wird zum jetzigen Zeitpunkt auf Grundlage der Empfehlung der Machbarkeitsstudie abgesehen.
II. Sach- und Rechtslage, Begründung
1. Hintergründe, Beschlusslage
Anfang November 2020 stellte das Land Baden-Württemberg die Ergebnisse seiner landesweiten Reaktivierungsstudie von Nebenbahnen sowie Fördermöglichkeiten zur vertieften Untersuchung ausgewählter Strecken vor. Für den Korridor Kirchheim u.T. – Weilheim a.d.T. – Bad Boll – Göppingen – Schwäbisch Gmünd ermittelte die Landesstudie Verkehrspotenziale in einer Größenordnung, ab der das Land dem Grunde nach Machbarkeitsstudien finanziell in Höhe von 75% der Kosten bezuschusst.
Aufgrund der ermittelten Förderfähigkeit haben sich der Landkreis Göppingen (Federführung), der Landkreis Esslingen, der Ostalbkreis, und der Verband Region Stuttgart zur Durchführung einer Machbarkeitsstudie entschlossen (siehe UVA BU 2020/248). Die Untersuchung wurde außerdem durch den Regionalverband Ostwürttemberg fachlich begleitet. Das Amt für Mobilität und Verkehrsinfrastruktur hat aufgrund der größeren Streckenanteile im Landkreis Göppingen die Federführung übernommen und das Projekt koordiniert.
Nach Erhalt des Zuwendungsbescheides und nach der europaweiten Ausschrei-bung, in der das Verkehrswissenschaftliche Institut Stuttgart GmbH (VWI) zusammen mit DB Engineering & Consulting den Zuschlag erhielten, konnte ab November 2021 in die inhaltliche Bearbeitung der Studie eingestiegen werden.
Diese Vorlage skizziert die Ergebnisse der Untersuchung und zeigt einen Weg für das weitere Vorgehen auf. Diese Ausführungen werden in der Sitzung durch die Präsentation der Gutachter (Anlage)ergänzt.
Da aussichtsreiche Varianten nur dann umgesetzt werden können, wenn diese im Grundsatz von den Anliegerkommunen mitgetragen werden, wurden die Ergebnisse insbesondere den anliegenden Städten und Gemeinden, politischen Vertretern aus den beteiligten Landkreisen und der Region Stuttgart sowie fachlichen Interessensvertretern in einer Informationsveranstaltung am 06. März 2023 auf Grundlage der anliegenden Präsentation vorgestellt.
Es wird außerdem darauf hingewiesen, dass sich der Abschlussbericht zur Untersuchung aktuell noch in Bearbeitung durch die Gutachter befindet und nachgelagert veröffentlicht wird.
Einleitend soll an dieser Stelle nochmals auf das Wesen einer Machbarkeitsstudie eingegangen werden:
Unter einer Machbarkeitsstudie ist eine qualifizierte Abschätzung zu verstehen, die bei der Entscheidung unterstützt, ob die Weiterverfolgung des untersuchten Vorhabens sinnvoll erscheint. Sie soll zu einem vergleichsweise frühen Zeitpunkt Fehlinvestitionen verhindern, Risiken identifizieren, Lösungswege aufzeigen und am Schluss eine Empfehlung für eine Entscheidung zum weiteren Vorgehen aussprechen. Sie wird meist vor Einstieg in die eigentliche Ingenieurplanung auf Grundlage einer ersten planerischen Näherung erstellt und befindet sich demzufolge auf einer übergeordneten Betrachtungsebene. Vor diesem Hintergrund kann sie daher gemäß der Förderrichtlinie keinen abschließenden Wirtschaftlichkeitsnachweis ersetzen, der als Voraussetzung für eine mögliche spätere Förderung nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) des Bundes, dem Landes-GVFG (beide zur Förderung von Infrastrukturkosten) oder zur Betriebskostenförderung im Zuge des Landesreaktivierungsprogramms dient.
2. Ziele der Machbarkeitsstudie
Die durchgeführte Machbarkeitsstudie befasst sich im Wesentlichen mit folgenden Aspekten:
aktuelle Verhältnisse entlang der Strecke,
mögliche Varianten für eine Reaktivierung,
zu erwartender finanzieller Aufwand für den Infrastrukturausbau und den anschließenden Betrieb der Strecke,
damit verbundene Verlagerungspotenzial vom Individualverkehr zum öffentlichen Verkehr und
für die aussichtsreichsten Planfälle den zu erwartenden, mit einer solchen Maßnahme verbundenen, volkswirtschaftlichen Nutzen.
Gemäß den Förderrichtlinien des Landes werden neben einer Wiederherstellung der früheren Eisenbahninfrastruktur nach der Eisenbahn-Bau und Betriebsordnung (EBO) auch die teilweise oder vollständige Reaktivierung als Straßen- bzw. Stadtbahn gemäß der Bau- und Betriebsordnung für Straßenbahnen (BOStrab) geprüft. Sofern ein durchgängiges System über den gesamten Korridor nicht
wirtschaftlich erscheint, sollte vom Gutachter ein wirtschaftliches Zusammenspiel der Streckenabschnitte mit unterschiedlichen Schienensystemen und Betriebskonzepten unter der Prämisse optimierter Umsteigebeziehungen ermittelt werden.
3. Vorgehensweise der Machbarkeitsstudie
In einem mehrstufigen Verfahren wurden im stetigen Austausch zwischen den Gutachtern und den Auftraggebern im Rahmen von regelmäßigen Projekttreffen die Vielzahl der denkbaren Kombinationsmöglichkeiten aus Schienensystem, Streckenabschnitten und Betriebskonzepten auf 5 Varianten eingegrenzt, für die ein vereinfachter Nutzen-Kosten-Indikator gemäß der jüngst veröffentlichen Verfahrensanleitung der Standardisierten Bewertung 2016+ ermittelt wurde. Dabei handelt es sich um die übliche Verfahrensanleitung des Bundes zur Ermittlung der Förderwürdigkeit von Schieneninfrastrukturvorhaben mit Blick auf den volkswirtschaftlichen Nutzen.
Eingrenzung von 25 auf 15 Varianten
In einem ersten Schritt wurden alle erkennbaren Varianten skizziert und kursorisch geprüft, für welche dieser Varianten in die Ermittlung verkehrlicher Kennzahlen vertieft eingestiegen werden soll. Bei der Auswahl wurde darauf geachtet, dass der daraus resultierende eingegrenzte Variantenfächer (bestehend aus 15 Varianten) weiterhin ein möglichst breites Untersuchungsspektrum abbildet.
Eingrenzung von 15 auf 5 Varianten
Für diese eingegrenzten 15 Varianten wurden dann verkehrliche Kennzahlen ermittelt und zueinander in Relation gesetzt. Die Projektpartner und der Gutachter sprachen sich dafür aus, aus diesem Spektrum für die Ermittlung eines vereinfachten Nutzen-Kosten-Indikators folgende fünf Varianten auszuwählen, aufgrund deren Ergebnissen der weitere Untersuchungsbedarf abzuleiten ist:
V 1.1 Kirchheim u.T. – Weilheim a.d.T. (EBO, S-Bahn)
V 3 Bad Boll – Göppingen (EBO, Regionalbahn)
V 12.1 Kirchheim u.T. – Bad Boll – Göppingen (EBO, Regionalbahn)
V 12.2 Kirchheim u.T. – Bad Boll – Göppingen (EBO/BOStrab Mehrsystem)
V 19 Göppingen – Schwäbisch Gmünd (BOStrab, Tram-Train)
Die Auswahl und Ausarbeitung der Varianten erfolgte neben den bereits ermittelten verkehrlichen Wirkungen insbesondere aufgrund folgender Prämissen:
30-Minuten-Takt-4-
Weiterhin Berücksichtigung aller Korridore
Betrachtung von – aus Kundensicht – attraktiven, also möglichst langen, umsteigefreien Linienwegen bei gleichzeitig attraktiven Fahrzeiten.
Gute Anschlussbildung an bestehende Schienenverkehre
funktionale Infrastruktur:
o Wo möglich, soll auf bestehende Schieneninfrastruktur und Querungsbauwerke zurückgegriffen werdeno Wo möglich eingleisige Streckenführung, aufgrund des 30-Minuten-Taktes werden jedoch diverse Kreuzungsstellen und Begegnungsabschnitte erforderlich.
Wo zulässig höhengleiche Bahnübergänge
o EBO-Bahnen: bei gewidmeten Strecken ist die Reaktivierung von höhengleichen Bahnübergängen zulässig. Bei entwidmeten Strecken und Neubauabschnitten ist der Neubau von höhengleichen Bahnübergängen nicht zulässig
o BOStrab: Höhengleiche Querungen generell denkbar
o Zerschneidungswirkung: Wenngleich aus Kostengründen in der Machbarkeitsstudie höhengleiche Bahnübergänge favorisiert werden, geht mit diesen aufgrund der damit verbunden Sperrzeiten für den
querenden Verkehr auch eine Barrierewirkung einher. Daher muss, sofern die Varianten aussichtsreich erscheinen, in einem weiteren Schritt eruiert werden, ob die angesetzten höhengleichen Bahnübergänge mit den Ansprüchen der Anliegerkommunen vereinbar sind.
Anpassung der Busverkehre an das neue Schienenverkehrsangebot
Bereich Kirchheim u.T. – Weilheim a.d.: Perspektivisch soll insbesondere in diesem Abschnitt die Entwicklungsoption für den Güterverkehr offengehalten werden, weshalb dieser Bereich gem. EBO ausgestaltet werden soll. Weitere Information zur baulichen Ausgestaltung folgen unter II.4.
4. Wesentliche Erkenntnisse
Diese Vorlage ist auf die Kernelemente beschränkt, weitergehende Informationen können der Anlage 1 entnommen werden. Die untersuchten Varianten weisen z.T. sehr hohe verkehrliche Wirkungen auf (Fahrgastpotenzial), denen jedoch erhebliche Infrastrukturinvestitionen gegenüberstehen. Sofern in Gebäude oder deren Außenbereiche eingegriffen werden muss, wurde im Regelfall im Nutzen-Kostenfaktor der notwendige Grunderwerb und der Rückbau des Bestandes eingepreist, etwaige Kosten zum Ersatz der bisherigen Funktion blieben jedoch im Nutzen-Kostenfaktor unberücksichtigt.
Kosten: Es ist anzunehmen, dass die dargestellten Kosten bei Realisierung in einem massiv reduzierten Umfang von der kommunalen/lokalen Ebene zu tragen sind. Investitionskosten bspw. werden nach aktuellem Bundesförderprogramm zu 90% vom Bund übernommen.
Personen-km/Strecken-Km: Die Personen-km/Strecken-km stellen die durchschnittliche werktägliche Belastung auf der untersuchten Schienentrasse dar
NKI (mit NWA): Nutzenkostenindikator mit Nutzwertanalyse. Neben den obligatorischen Bausteinen der Standardisierten Bewertung wurden vom Gutachter auch sogenannte fakultative Bausteine in Ansatz gebracht, die einen positiven Einfluss auf das Bewertungsergebnis haben.
Anlage_1_Praesentation_Infoveranstaltung_Machbarkeitsstudie_Reaktivierung_Nebenbahnen
Joachim Abel