Liebe Göppingerinnen, liebe Göppinger,
„Das Nachbarhaus war völlig zusammengebombt, eine Wolke von Staub stand an der Stelle des früheren dreistöckigen Gebäudes. Die Bomber waren schon weg. Ihr Surren tönte von Westen her an mein Ohr. Kein Mensch war zu sehen. Wo die Bewohner des zerstörten Hauses wohl sind?“
Dies ist ein Auszug aus dem Bericht eines Augenzeugen der Bombenangriffe auf Göppingen am 01. März 1945. Als ich diese Rede vorbereitet habe, hätte ich mir nicht träumen lassen, dass es dieses Jahr am 01. März, nicht einmal 2 Flugstunden von uns entfernt, Menschen gibt, die wieder die gleichen schrecklichen Dinge erleben müssen wie die Einwohner Göppingens vor 77 Jahren.
Menschen die ihre Heimat verlieren, deren Existenz im Bombenrauch verschwindet, die Angst haben um ihre Familienmitglieder und im schlimmsten Fall ihr Leben verlieren. Nichts davon lässt sich rechtfertigen und nichts davon darf hingenommen werden.
Der Überfall auf die Ukraine zeigt was für ein zerbrechliches Gut der Frieden ist. Rund 250 Kriege hat die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschnug seit Ende des zweiten Weltkrieges registriert.
Umso wichtiger ist es, dass wir alle, jede und jeder Einzelne von uns, aktiv für den Frieden eintreten. Rechtstaatlichkeit, soziale Gerechtigkeit und Freiheit sind Voraussetzungen für dauerhaften Frieden. Das ist die langfristige Aufgabe von uns allen.
Kurzfristig brauchen die Menschen in der Ukraine jetzt unsere uneingeschränkte Solidarität und Unterstützung. Auch hier kann jede und jeder von uns etwas tun. Spenden werden immer gebraucht und die Aufnahme geflüchteter Menschen muss auch in Göppingen organisiert werden.
Aus dem heutigen Gedenktag und der Trauer um die Toten vergangener Kriege erwächst für uns auch Verantwortung. Dieser Verantwortung werden wir gerecht. Göppingen steht an der Seite der Menschen in der Ukraine und wir werden alles tun was wir können denen einen sicheren Ort zu bieten, die durch den Krieg vertrieben werden aus ihrer Heimat.
Wir stehen heute hier gemeinsam und mit offenen Armen.
Bundeskanzler Olaf Scholz sagte bei seiner Rede im deutschen Bundestag: „Wir erleben eine ‚Zeitenwende‘. Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor.“
Damit hat der Kanzler zweifellos recht. Der immerwährende Einsatz für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz und Frieden ist in der letzten Woche zu unserer wichtigsten Pflicht geworden und das Gedenken wird heute von einem alljährlichen Ritual zu einer täglichen Aufgabe für uns alle.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
am 1. März 1945, wurde Göppingen Ziel des schwersten Luftangriffes auf unsere Stadt während des Zweiten Weltkrieges. 293 Menschen in unserer Heimatstadt wurden innerhalb kürzester Zeit Opfer des Krieges, den Deutschland während der NS-Diktatur 1939 begonnen hatte.
Weitere Angriffe folgten am 2. und 3. April, am 12. und sogar noch am 19. April 1945 – einen Tag, bevor mit dem Einmarsch der amerikanischen Truppen am 20. April der Krieg für Göppingen vorüber war.
Bei den Luftangriffen starben insgesamt 334 Menschen; 1.033 Häuser wurden zerstört oder stark beschädigt.
Wenn wir heute der Opfer gedenken, dann ist damit keine Aufrechnung von Schuld verbunden. Der Schmerz um die 334 gestorbenen Menschen lässt auch keinen Raum für Gedanken der Rache.
Unsere Trauer um jedes einzelne menschliche Schicksal, das sich hinter den nackten Zahlen verbirgt, ist vielmehr eine Mahnung für den Frieden. Jahr für Jahr erinnern wir an die dunkelsten Stunden unserer Geschichte um ihre Wiederholung zu verhindern.
Bei allen politischen Differenzen und Gräben die sich, auch in Göppingen immer wieder auftun, gibt es doch einen Satz, hinter dem wir uns alle versammeln können. Einen Satz der schon oft gesagt wurde von vielen Menschen: „Nie wieder Krieg!“
Die Lage in der Ukraine zeigt uns, dass dieser Satz kein Versprechen war. Aber er war und ist eine Hoffnung und eine Vision. Und keine Rakete, kein Panzer und kein Gewehr kann uns diese Hoffnung nehmen. Lassen Sie uns gemeinsam diese drei Worte wieder zum Leben erwecken.
Gerade gegenüber denen, die das Fundament des Zusammenlebens auf der Welt aufs Spiel setzen aus egoistischen Großmachtsfantasien und Eigeninteresse. Nicht nur am 01. März sondern jeden Tag wollen wir laut in die Welt rufen „Nie wieder Krieg!“ bis unsere Hoffnung irgendwann erfüllt ist und die Vision zur Realität wird.
Lassen Sie uns dafür zusammenstehen mit unseren Nachbarinnen und Nachbarn. Lassen Sie uns solidarisch sein mit denen, die unverschuldet zu Opfern werden. Lassen Sie uns nie die Menschen vergessen, die ihr Leben lassen mussten in sinnlosen Kriegen. Lassen Sie uns streiten für diese Hoffnung: „Nie wieder Krieg!“
PM Stadtverwaltung Göppingen