An:
Regierungspräsident Wolfgang Reimer Ruppmannstr. 21
70565 Stuttgart
Sehr geehrter Herr Regierungspräsident Reimer,
wir, die untenstehenden Personen, vertreten ein kommunales Aktionsbündnis aus der Raumschaft rund um Geislingen an der Steige. Gemeinsam setzen wir uns für den Erhalt unserer seit über 100 Jahren bestehenden regionalen Klinik, der „Helfensteinklinik“ in Geislingen an der Steige, ein.
Die „Helfensteinklinik“ ist zusammen mit der „Klinik am Eichert“ in einer gemeinsamen GmbH in Trägerschaft des Landkreises Göppingen zusammengeschlossen. Dazu gibt/gab es auch ein Medizinkonzept welches lautete „Eine Klinik an zwei Standorten“. Dieses Konzept wurde 2015 so verabschiedet und war auch Grundlage für die Entscheidung des Neubaus der „Klinik am Eichert“, welcher derzeit mit großer Förderung durch das Land entsteht. Nun soll die Klinik am Standort in Geislingen an der Steige zu einer „Praxisklinik“ heruntergestuft und damit das Krankenhaus mit seinen Stationen, Notfallklinik der Stufe I, usw. mittelfristig geschlossen werden.
Dazu gab es in den letzten Wochen viel Widerstand in Geislingen und dem Umland, auch über die Kreisgrenzen des Landkreises Göppingen hinweg. Dennoch hat der Kreistag mit 36 zu 24 Stimmen am 21.05.2021 den Beschluss gefasst, die Umwandlung anzugehen.
Siehe u.a.: https://www.alb-fils-kliniken.de/ueber-uns/zukunftskonzept-afk/
Wir im Aktionsbündnis sind – wie auch einige Kreisrät*innen – der Meinung, dass dabei möglicherweise Verfahrensfehler gemacht wurden. Wir bitten Sie daher um umgehende Prüfung der Rechtmäßigkeit folgender Punkte:
a) Anschein von Befangenheit nach §14 der Landkreisordnung BW:
Kreisrätin und Aufsichtsratsmitglied Frau Christine Lipp-Wahl ist mit einem Oberarzt der Klinik am Eichert verheiratet. Offen kommuniziertes Ziel der Schließung der Klinik in Geislingen ist es unter anderem, die Personalnot in der „Hauptklinik“ (die derzeit parallel durch einen Neubau ersetzt wird), zu verringern, indem Personal aus der Helfensteinklinik in die Klinik am Eichert wechselt.
Unserer Meinung nach liegt hier zumindest die „Möglichkeit des Eintritts eines unmittelbaren Vorteils“ vor, wenn der Ehemann einer Kreisrätin (auch noch Aufsichtsratsmitglied) durch die Entscheidung in seiner Abteilung weniger Personalprobleme und damit geringeren beruflichen Stress, weniger Überstunden und ggf. auch eine höhere Weisungsbefugnis hat.
Andere Kreisrät*innen (Beschäftigte der AFK) wurden wegen Befangenheit von der Abstimmung ausgeschlossen, diese Kreisrätin und Aufsichtsrätin nicht. Auch wenn sich kein direkter (z.B. monetärer) Vorteil für den Oberarzt nachweisen lässt, liegt u. E. zumindest der Anschein einer Befangenheit vor, wenn man die sich erwartbar deutlich verbesserten Arbeitsbedingungen des Ehemanns der Kreisrätin betrachtet.
b) Unvereinbare Rollen des Landrats Edgar Wolff mit der Funktion der Sitzungsleitung:
Landrat Edgar Wolff ist in erster Linie Vorsitzender des Kreistags ohne Stimmberechtigung. Außerdem ist er Aufsichtsratsvorsitzender der Alb-Fils-Kliniken, Vorsitzender im Klinik-Beirat und vertritt auf Weisung des Kreistages den Landkreis Göppingen als Träger in der Gesellschafterversammlung der AFK GmbH, deren einziges Mitglied er ist.
Diese Rollenkonflikte zeigten sich in der Sitzungsleitung unter anderem dadurch, dass der Landrat auf Fragen zum Prozedere der Abstimmung nicht einging (darüber sogar lachte, s.u.) und Störungen der Sitzung (z.B. eine potenziell volksverhetzende Anmerkung des Kreistagsmitglieds Georg Gallus (FDP)) nicht ahndete.
Auch beantwortete Landrat Wolff die mehrfach gestellte Frage was passiere, wenn keiner der beiden zur Abstimmung gebrachten Anträge eine Mehrheit fände (gestellt sowohl vor der ersten Abstimmung als auch nachdem der erste Antrag keine Mehrheit fand und der zweite Antrag abgestimmt wurde durch die Kreistagsmitglieder Wolfgang Rapp (CDU) und Günter Burkhardt (GRÜNE)) NICHT.
Er, Landrat Wolff, lachte auf die Frage und meinte sinngemäß: „Nun stimmen wir erstmal ab und sehen dann weiter“.
Unserer Meinung nach liegt hier eine unzulässige Beeinflussung des Abstimmungsverhaltens vor. Die Kreistagsmitglieder wurden durch die Sitzungsleitung nicht vollständig über die Konsequenzen ihrer Abstimmung aufgeklärt. So hätte die Abstimmung auch anders ausgehen können, wenn klar gewesen wäre, dass die Sitzung (die zu diesem Zeitpunkt bereits sechs Stunden dauerte) abgebrochen und das Thema vertagt würde, wenn es auch für den zweiten Antrag keine Mehrheit geben würde. Denn da es keinen dritten Antrag gab, wäre dies die Konsequenz gewesen. Niemand hätte um diese Uhrzeit noch einen neuen Antrag erarbeitet und zur Abstimmung gebracht.
c) Uneindeutige Abstimmungsfolgen für die ehrenamtlichen Kreistagsmitglieder:
Die Anträge, die zur Abstimmung kamen, waren unklar formuliert. In einer Sitzungsunterbrechung wurden zwei Anträge zu einem zusammengefasst, die Formulierungen blieben dabei weiterhin unklar, die Folgen der Abstimmung waren damit nicht 100% einzuordnen.
So ist derzeit unklar, ob der Kreistag eigentlich noch einen Weisungsbeschluss für die Gesellschafterversammlung verabschieden muss, den verabschiedeten Antrag auch umzusetzen. Der Landrat, ein absoluter Verfechter des neuen Konzeptes, sieht diesen Bedarf nicht. Er will den Beschluss umsetzen und „das auf seine Kappe nehmen“.
Er sieht in dem Abstimmungsergebnis gleichzeitig die Weisung für umfangreiche Schritte, bis hin zur Änderung der Satzung, Namensänderungen usw.
Da die Sitzung komplett als Livestream ins Internet gestellt wurde, lassen sich die Punkte b) und c) in den uns vorliegenden Aufnahmen nachsehen/nachprüfen.
Sehr geehrter Herr Regierungspräsident Reimer,
wir bitten Sie um umgehende Prüfung der Kreistagssitzung des Landkreises Göppingen vom 21.05.2021 auf ordnungsgemäßen Verlauf und um die Einleitung von Maßnahmen, falls einer oder mehrere der o.g. Punkte nicht den geltenden Regelungen entsprachen. Wir bitten Sie, uns über das Ergebnis Ihrer Prüfung schriftlich zu unterrichten. Für rasche Bearbeitung danken wir bereits im Voraus.
Mit freundlichen Grüßen aus Geislingen an der Steige
im Namen des Aktionsbündnisses „ERHALT der Helfensteinklinik“:
• Holger Schrag, Stadtrat Geislingen an der Steige
• Ludwig Kraus, Stadtrat Geislingen an der Steige
• Thomas Reiff, Stadtrat Geislingen an der Steige
• Jürgen Peters, Stadtrat Geislingen an der Steige
• Erkan Erdem, Stadtrat Geislingen an der Steige
• Wolfgang Braig, stellv. Vorsitzender Turngemeinde Geislingen 1846 e.V.
• Max Erhardt, Vorstandsmitglied Freie Wähler e.V. Geislingen
• Melanie Feil, Mitglied Kreisvorstand SPD