Kardinal Bea, Freiherr von Berlepsch und Gräfin von Paris – was klingt wie aus dem Märchen, sind fast in Vergessenheit geratene Obstsorten aus unseren Streuobstwiesen. Diese Schätze vermarktet der Verein Schwäbisches Streuobstparadies e.V. über die Handelsplattform Streuobst. Was 2020 als Pilotprojekt startete, ist längst zu Kernkompetenz und Alleinstellungsmerkmal des überregionalen Verbandes geworden.
„In unserer Handelsplattform bündeln wir die Streuobstwiesen-Bewirtschaftenden und ihre zahlreichen Obstsorten und machen Sie marktfähig“, erklärt Maria Schropp, die Geschäftsführerin des Vereins. „So gelingt es uns, die kleinstrukturierten Besitzverhältnisse und Wiesles-Besitzer, egal ob Hobby oder Nebenerwerb, zu koordinieren“.
Dieses Jahr werden voraussichtlich über 10.000 kg Äpfel und Birnen so den Weg in den Lebensmitteleinzelhandel und in Kantinen und Betriebe der Region finden. 33 Lieferantinnen und Lieferanten ernten dafür in mühevoller Arbeit 36 verschiedene Sorten. Ziel des Streuobstparadieses ist es, den Bewirtschaftenden Wertschätzung und auch die entsprechende Wertschöpfung zu geben, die das Engagement für die wertvolle Kulturlandschaft honorieren. Dazu braucht es innovative Absatzwege mit lohnenden Obstpreisen. An den Annahmestellen in Herrenberg-Mönchberg, Dettingen an der Erms, Ebersbach-Bünzwangen und Hechingen wird die Qualität des Obstes kontrolliert, Rückstellproben genommen und die Sorten kommissioniert und beschildert.
Mit kurzen Wegen bringt die LOKORA GmbH das Obst direkt zu den Kunden. „Wir sind ein junges Start-up und beliefern Kantinen, Gastronomien und ausgewählte Lebensmittelläden mit frischem Obst, Gemüse und einem Trockensortiment, direkt von lokalen Höfen mittels unserer KI-gestützten Logistik – ganz ohne Zwischenlagerung. Dabei bündeln wir kleine Landwirtschaftsbetriebe über eine digitale Plattform zu regionalen Kooperationsnetzwerken“, erklärt Laurin Held. „So bleibt die Wertschöpfung in lokalen Händen, und wir können die Ernährungswirtschaft nachhaltig verbessern. “Die Kooperation des Streuobstparadieses mit LOKORA vereint gezielt Synergien, um regionale Wertschöpfungsketten aufzubauen.
Die Geschäftsstelle des Streuobstparadieses hat in den letzten Jahren viel in die Handelsplattform investiert: „Wir haben den Zahn der Zeit getroffen und eine Stellschraube zum Erhalt der Streuobstwiesen gefunden“, ist sich Maria Schropp sicher. Gleichzeitig rücken wir die Streuobstwiesen und ihren unschätzbar wertvollen Sortenschatz in den Fokus der Öffentlichkeit. Um die Bewirtschaftenden und die Sortenvielfalt besser verwalten zu können, hat der Verein mit Fördermitteln des Biosphärengebiets Schwäbische Alb und der Stiftung NaturRaum eine eigene Software von der Firma Area-Net GmbH in Donzdorf entwickeln lassen. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz und automatisierten Informationsflüssen kann endlich einfacher koordiniert werden, welche Sorte welches Lieferanten zu welchem Reifezeitpunkt über die Annahmestelle zum Kunden kommt. „Ziel ist es nicht nur, Arbeitserleichterungen für uns zu schaffen, sondern die Grundvoraussetzung zu legen, dass die Handelsplattform weiterwachsen kann. Wir haben nun Strukturen, die es uns ermöglichen mehr Wiesles-Besitzende, mehr Märkte und Kantinen und mehr Obstarten und Produkte über die Handelsplattform zu organisieren“, wagt Schropp einen Blick in die Zukunft.
Ein großer Zukunftswunsch des Vereins ging bereits am Montag auf den Ammerbucher Streuobstwiesen in Erfüllung. Nach einer Personalkostenförderung über die Europäischen Innovationspartnerschaften (EIP), die zum Ende des Jahres ausläuft, darf sich der Verein über eine daran anschließende Personalkostenförderung freuen: Regierungspräsident Klaus Tappeser (Regierungspräsidium Tübingen) überreichte dem Team der Geschäftsstelle den Bewilligungsbescheid für die Förderung einer halben Stelle von 2025-2029. „Die Umsetzung von guten Ideen braucht nicht nur finanzielle Ressourcen, sondern auch Personal. Über die Landschaftspflegerichtlinie können wir dieses vielversprechende Vermarktungsprojekt mit knapp 160.000 € verstetigen und ausbauen“, zeigt sich Tappeser überzeugt vom Projekt.
In den kommenden Wochen startet der Verkauf mit Sorten wie Jakob Fischer, Geheimrat Dr. Oldenburg, Gewürzluike und Kaiser Wilhelm. Auch echte Raritäten wie Süße Grüne Schafsnase oder Finkenwerder Herbstprinz wird es in ausgewählten Filialen des Lebensmitteleinzelhandels geben. Für Kantinen und Betriebe gibt es insbesondere gegen Ende der Saison hohe Verfügbarkeiten an Sorten, die sich sowohl für den Frischverzehr als auch für die Verarbeitung eignen. Alle Verkaufsstellen sind demnächst unter www.handelsplattform-streuobst.de zu finden.
Hintergrund
Im Herzen Baden-Württembergs liegt die größte zusammenhängende Streuobstlandschaft Europas. Rund 1,5 Millionen Obstbäume bieten zu jeder Jahreszeit einen Augenschmaus, sind Lebensraum für zahlreiche Tiere und Pflanzen, Erholungsgebiete für uns Menschen und Ursprung köstlicher Qualitätsprodukte und seltener Obstsorten. Es ist eine Landschaft der Superlative – das Schwäbische Streuobstparadies. Seit 2012 setzt sich der Verein Schwäbisches Streuobstparadies e.V. mit seinen über 300 Mitgliedern für den Erhalt der landschaftsprägenden Streuobstwiesen ein. Sechs Landkreise (Böblingen, Esslingen, Göppingen, Reutlingen, Tübingen, Zollernalb), zahlreiche Kommunen, Betriebe, Bildungseinrichtungen, Vereine und Privatpersonen bündeln hier das Engagement für die wohl prägendste Kulturlandschaft im „Ländle“.
Das Schwäbische Streuobstparadies geht 2024 ins vierte Verkaufsjahr. Seit 2020 wurden in rund 25 verschiedenen Edeka- und Rewe-Märkten über 30 Tonnen Äpfel und Birnen vermarktet. In Zukunft will man die Zahl der Märkte und die gelieferte Obstmenge weiter steigern, und so noch mehr Menschen für das leckere Tafelobst und damit auch für die Pflege und Bewirtschaftung von Streuobstwiesen begeistern. Zudem soll das Angebot auf Betriebsrestaurants und Mensen ausgeweitet werden
Streuobst – Landschaft der Vielfalt:
Die Streuobstwiesen in Baden-Württemberg gehören zu den schönsten und artenreichsten Landschaften Europas. Tausende verschiedene Apfelsorten sowie Hunderte Birnen-, Kirschen- und Pflaumensorten sind seit den Anfängen des Obstbaus in Deutschland entstanden – viele davon finden sich bis heute im Streuobstparadies. Mindestens ebenso beeindruckend wie die Sortenvielfalt, ist die Artenvielfalt der Streuobstwiesen. Vom elegant segelnden Rotmilan über Orchideen bis hin zum schillernden Goldlaufkäfer: Tausende Tier- und Pflanzenarten leben in den Streuobstwiesen, mit ihrer abwechslungsreichen Struktur aus großen Bäumen und artenreichen Mähwiesen. Dazu gehören auch zahlreiche bedrohte Arten wie Gartenrotschwanz, Wendehals, Steinkauz, Fledermäuse, Siebenschläfer, Wildbienen, Hornissen, Heuschrecken sowie diverse Pilze, Moose, Flechten und Blütenpflanzen. Der Streuobstanbau mit seiner Biodiversität und kulturellen Vielfalt ist seit 2021 als immaterielles Kulturerbe Deutschlands von der UNESCO anerkannt.
Foto (Gunther Willinger): Mitten in den Streuobstwiesen eröffnete das Streuobstparadies mit Secco, Zwetschgen und Jakob Fischer den Verkaufsstart der Handelsplattform
Kontakt und weitere Informationen:
PM Schwäbisches Streuobstparadies