BUND Baden-Württemberg und BUND Hessen küren zum vierten Mal gemeinsam eine besondere Tierart, die ein Leben führt, das den meisten Menschen verborgen bleibt. Für 2024 fiel die Wahl auf die Bechsteinfledermaus, die als nachtaktive Waldbewohnerin ein wahrer Heimlichtuer ist.
Stuttgart/Frankfurt. Mehr als 20 heimische Fledermausarten gibt es in Baden-Württemberg und Hessen. Fast alle von ihnen sind stark gefährdet. Darunter auch die Bechsteinfledermaus (Myotis bechsteinii), die deutschlandweit auf der Roten Liste bedrohter Arten steht. Ihr Lebensraum sind alte Wälder. Deshalb ist sie besonders anfällig dafür, wenn der Mensch in diese Wälder eingreift.
Mehr Naturwald statt Wirtschaftswald
Die Bechsteinfledermaus braucht alte Wälder mit genügend Höhlen zur Jungenaufzucht und den richtigen Baumarten. In Baden-Württemberg ist sie oft in Eichenwäldern zu finden, die rund 140 bis 160 Jahre alt sind. In der Forstwirtschaft werden die Bäume in dieser Altersstufe aber gerne geerntet. In Hessen sind einige Vorkommen der Bechsteinfledermaus in älteren Buchenwäldern aktuell sehr gefährdet, da die Bäume aufgrund der Trockenschäden als Folge der Sommer 2018 und 2019 beschleunigt gefällt werden. Der BUND fordert deshalb, mindestens zehn Prozent der Waldfläche sich selbst zu überlassen.
Insektizide, mit denen Schädlinge wie Maikäfer und Prozessionsspinner im Wald bekämpft werden, verringern außerdem das Nahrungsangebot. Aber auch Siedlungs- und Straßenbau, fehlende Vernetzung von Waldgebieten und künstliche Beleuchtung in Waldnähe beschneiden ihre Lebensräume zunehmend. Denn wie viele andere Arten überqueren Bechsteinfledermäuse nur ungern offene Landschaften und scheuen das Licht. Sie fliegen dann Umwege, wofür sie mehr Energie brauchen. Gerade für Weibchen kann das während der Trächtigkeit und Aufzucht der Jungen ein Problem sein, da sie pro Nacht etwa zwei Drittel ihres Körpergewichts an Nahrung brauchen. In Hessen konnte der BUND 2021 im Rahmen eines Autobahnprojekts eine Grünbrücke erwirken, von der die Frankfurter Bechsteinfledermäuse profitieren werden. Die Grünstrukturen auf der Brücke werden den Fledermäusen die gefahrlose Überquerung ermöglichen, um den Wald auf der anderen Seite der Autobahn zu erreichen.
Die Bechsteinfledermaus ist nach der FFH-Richtlinie geschützt. Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union schützt natürliche Lebensräume, zu denen auch die Quartiere der Fledermaus zählen. Dafür müssten diese aber in den Verbreitungsgebieten kartiert und die Baumhöhlen gekennzeichnet werden. Diese Daten sollten dann in die Planungen der Forstwirtschaft einfließen. Außerdem mag die Bechsteinfledermaus keine zu lichten Wälder – ein ökologischer Zielkonflikt, da junge Eichen genügend Licht zum Wachsen brauchen. Damit diese trotzdem nachwachsen können, sollte man dafür möglichst Flächen wählen, die durch Stürme oder Schädlinge frei geworden sind.
Die Bechsteinfledermaus im Porträt:
Benannt ist die Bechsteinfledermaus nach einem der Pioniere des Naturschutzes: Johann Matthäus Bechstein (1757-1822), der durch zahlreiche naturkundliche Schriften als Vater der Vogelkunde gilt und sich früh für den Erhalt von Tierarten wie Fledermäusen einsetzte.
Im ganzen Land zu Hause
Die Bechsteinfledermaus kommt in ganz Mitteleuropa vor, in Deutschland vor allem in Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Thüringen und Bayern. In Baden-Württemberg ist sie am Oberrhein, im Odenwald und in der Neckarebene zu finden, kommt aber grundsätzlich in allen Teilen des Landes, außer in der Donau-Iller-Lech-Platte, vor. In Hessen bewohnt die Bechsteinfledermaus die Eichen- und Buchen(misch)wälder des Rhein-Main-Tieflands und des Rheingau-Taunus, den Spessart, das Lahntal bei Marburg und Gießen, das Werra- und Wehretal, den Vorderen Vogelsberg sowie die Wälder entlang der Ohm.
Geschickte Jägerin der Nacht
Die Bechsteinfledermaus gehört zu den Glattnasenfledermäusen. Sie wiegt zwischen sieben und 14 Gramm, ist also etwa so schwer wie eine 2-Euro-Münze (8,5 g), und wird 45 bis 55 Millimeter groß. Mit ihren eher kurzen und breiten Flügeln kann sie besonders gut durch dichte Vegetation von Wäldern fliegen. Das hilft ihr bei der Jagd auf Fluginsekten wie Schmetterlinge, Mücken, Laubheuschrecken und Käfer. Aber auch Spinnen oder Hundertfüßer stehen auf ihrem Speiseplan. Durch die großen Ohren kann sie deren Krabbelgeräusche hervorragend hören und fängt sie direkt von Pflanzen oder vom Boden. Nach der nächtlichen Jagd zieht sich die Bechsteinfledermaus tagsüber zum Schlafen in Baumhöhlen zurück. Diese wechselt sie alle zwei bis drei Tage und kommt damit in einem Sommer auf beachtliche 30 bis 40 Umzüge in ihrem Revier. Trotz der vielen Wohnungswechsel bleibt die Fledermaus ihrem Revier treu und ist nicht besonders reiselustig. Im Winter zieht sie sich in unterirdische Höhlen, Stollen und Bunker zurück und versteckt sich dabei als echter Heimlichtuer gern in tiefen Spalten. Dort hält sie Winterschlaf zwischen Oktober und April. Die weiteste Wanderstrecke zwischen Sommer- und Winterquartier liegt nur bei ungefähr 35 Kilometern.
Frauenpower für den Nachwuchs
Bechsteinfledermäuse paaren sich im Herbst. Ab Mitte April beziehen die Weibchen Baumhöhlen, in denen sie den Nachwuchs in Verbänden, den sogenannten Wochenstuben, von durchschnittlich 20 bis 30 Fledermäusen aufziehen. Die Männchen beteiligen sich nicht an der Aufzucht. Die Jungen kommen von Juni bis Anfang Juli zur Welt und werden bis in den August hinein gesäugt. Selbst während dieser Zeit wechseln die Weibchen zum Schutz vor Feinden und aus hygienischen Gründen mehrfach ihre Wochenstube. Nach vier bis sechs Wochen werden die Jungtiere selbstständig und lernen zu fliegen. Wenn die Kleinen das erste Lebensjahr überstehen, haben sie gute Chancen bis zu 20 Jahre alt zu werden. Denn die Sterblichkeit der Bechsteinfledermaus ist nach dem ersten Lebensjahr über die ganze Lebensspanne hinweg gleich hoch – bzw. niedrig. Oder anders gesagt: Sie altert nicht.
Hintergrund
Pottwale sehen Geräusche, Jesus-Echsen laufen über das Wasser und es gibt Spinnen, die ein Lasso um ihre Beute schwingen können – aber auch unsere heimische Natur steckt voller Arten mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Oft kann man deren Besonderheiten erst beim genauen Hinsehen wahrnehmen. Der BUND Hessen und BUND Baden-Württemberg küren deshalb zum vierten Mal gemeinsam den Heimlichtuer des Jahres, um auf diese Arten aufmerksam zu machen. 2021 fiel die Wahl auf das Glühwürmchen, 2022 auf den Ameisenlöwen und 2023 auf den Eisvogel.
Weitere Informationen:
Artensteckbrief der Bechsteinfledermaus | ||
Weitere Tier- und Pflanzensteckbriefe des BUND Baden-Württemberg | ||
Webseite des BUND Baden-Württemberg zu Wäldern |
Foto )Marko König): Bechsteinfledermaus (Myotis_bechsteinii)_
PM Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Landesverband Baden-Württemberg e.V.