Sprayer und Sprayerinnen sollen sich künftig an einer von der Stadt Uhingen zur Verfügung gestellten Wand austoben dürfen. Das Team des städtischen Jugendhauses koordiniert das Vorhaben und erhofft
sich davon nicht nur ein weiteres Angebot, sondern auch ein wachsendes Verantwortungsbewusstsein bei den Jugendlichen. In der Sprayer-Szene wird die neue Attraktion schon voller Vorfreude erwartet.
Unter Hochdruck strömt farbiger Nebel aus einer Spraydose, dank geübten Handbewegungen entstehen Linien und bunte Flächen auf der noch vor wenigen Sekunden grauen Betonwand. Was letztlich zu sehen sein soll, weiß vorab nur der Künstler selbst, der seine Kreativität vom Kopf auf die Fläche vor ihm überträgt. Doch was Sprayer als Kunst bezeichnen, ist manchen Menschen ein Dorn im Auge: Graffiti. Denn oftmals verewigen sich manche Zeitgenossen unerlaubt an den Fassaden und Wänden fremder Gebäude oder von Bauwerken. Doch wie lassen sich das gerade bei jungen Menschen vorhandene Interesse am Graffiti-Sprayen und die Legalität in Einklang bringen? Die Antwort liefert die Stadt Uhingen: mit einer Legal Wall. Diese wird jungen Menschen zur Verfügung gestellt, damit sich die Sprayer auf legale Weise darauf austoben können. „Es ist etwas ganz besonderes, mit ganzem Körpereinsatz auf einer großen Fläche etwas zu malen als nur auf Papier“, sagt der Uhinger Sprayer Moritz Hohlbauch. „Da wirken die Farben ganz anders“, schwärmt der 25-Jährige von seinem Hobby. Dementsprechend ist er froh, dass Uhingen nun eine
Legal Wall erhält.„
Sie sind kreativ, gehen hochkonzentriert an die Arbeit und haben dann etwas, was sie vorzeigen können.“ Mit diesen Worten beschreibt Sarah Bretzler die positiven Begleiterscheinungen der Graffiti-Malerei bei den
Jugendlichen. Die Sozialpädagogin stemmt zusammen mit ihren Kolleginnen Stefanie Gross und Sarah Aslan im Auftrag der Stadt Uhingen und des SOS-Kinderdorfs Göppingen die Jugendarbeit in der Stadt sowie im Jugendhaus und koordiniert das Projekt der Legal Wall. Den Wunsch nach einer Möglichkeit, legal zu sprayen, hatten die Jugendlichen mehrfach geäußert, unter anderem in der Jugendbeteiligungsumfrage und dem Jugendforum 2021, erinnert sich Sarah Bretzler. „Der Wunsch war immer präsent.“ Auch Moritz Hohlbauch wünschte sich dieses Angebot schon länger und ging aktiv auf das Team des Jugendhaus zu.
Deshalb wurde das Anliegen an die Stadtverwaltung herangetragen und das Sprühen als Thema im Alltag des Jugendhauses Uhingen (JuhU) an der Kirchstraße 1 aufgegriffen. Nach längerer Suche wurde man schließlich fündig: Auf den Wänden in der B10-Unterführung an der Filseckerstraße – in fußläufiger Nähe zum Jugendhaus– sollen Sprayer und Sprayerinnen ihrer Kreativität Ausdruck verleihen können. Hierzu haben die Vertreter der Stadtverwaltung eine entsprechende Nutzungsvereinbarung für die Fläche erwirkt.
Allerdings sollen die jungen Jugendhaus-Besucher und -Besucherinnen nicht einfach drauflos sprühen. Sarah Bretzler und dem JuhU-Team ist es von Anfang an wichtig, den jungen Leuten einen verantwortungsvollen Umgang zu vermitteln. Dabei hilft der Uhinger Sprayer Moritz Hohlbauch, der mit den Mädchen und Jungen des Jugendhauses einen Workshop abgehalten hat. Denn die Kinder und Jugendlichen sollen nicht einfach wild drauf lossprayen. „Wir haben mit ihnen auch über die Regeln und geltenden Gesetze gesprochen und welche rechtlichen Konsequenzen illegales Sprühen haben. Ohne Hintergrundwissen möchten viele Jugendliche Graffitisprühen ausprobieren, was schnell zu Straftaten führen kann. Nicht allen ist bewusst, welche Konsequenzen illegales Sprühen hat. Hier wird auf die Folgen hingewiesen und so die Kreativität in legale Bahnen gelenkt“, erklärt Sarah Bretzler. Außerdem war die fachgerechte Entsorgung der Spraydosen ein Thema. Denn auch das gehört zum Sprayer-Alltag dazu:
Rücksicht auf die Umwelt und das Umfeld nehmen. In dem Workshop, der Anfang Mai stattgefunden hat, erklärte der Uhinger Sprayer die unterschiedlichen Graffiti-Stile und verriet auch einen Trick, um Schrift in 3D-Optik erscheinen zu lassen.
Zunächst entwarfen die Teilnehmerund Teilnehmerinnen ihr Bild auf Papier. In einer zweiten Aktion sprühten die Jugendlichen die Motive dann im Freien auf Leinwände, die sie mit nachhause nehmen durften. „Sie hatten riesigen Spaß und waren so stolz auf die Ergebnisse“, erinnert sich Sarah Bretzler gerne zurück. Es entstanden Bilder für das eigene Zimmer oder als Geschenk für die Mama.
Auch vom zeitweise einsetzenden Regen ließen sich die Nachwuchssprayer nicht abschrecken und verlegten die Aktion kurzerhand unter einen Baum, der Schutz bot. „Für viele hatte das Sprayen etwas sehr meditatives“, berichtet Sarah Bretzler. „Dabei muss man sich konzentrieren; das Sprayen
ist eine Art der Kunst, die auch von Jugendlichen mit niedriger Frustrationstoleranz gut angenommen wird.“
Dieser Workshop bestätigte das Jugendhaus-Team noch mehr im Bestreben, eine legale Graffiti-Wand zu bekommen. Denn beim Sprayen können Jugendliche kreativ sein. Das gelte vor allem „für Jungs, die Lust auf
Kreativität haben und für die unsere Bastelangebote aber nicht so attraktiv sind“, erklärt Sarah Bretzler. Das Sprayen sei außerdem ein Ausgleich zum Schulalltag, zumal nicht jeder die finanziellen Möglichkeiten hat, in einer Kunstschule an Workshops teilzunehmen. Mit der Legal Wall verfolgen die Stadtverwaltung und das Jugendhausteam aber auch ein sozialpädagogisches Ziel: „Die Jugendlichen können sich und ihre Fähigkeiten präsentieren, sich mit den Kunstwerken und der Jugendkultur rund um das Thema Graffiti identifizieren und sollen auch lernen, Verantwortung zu übernehmen“, erklärt die Jugendhaus-Mitarbeiterin.
So ist es ein weiteres Ziel, eine Jugendbeteiligungsgruppe mit den Jugendlichen zu installieren, die sich für die Legal Wall mitverantwortlich fühlt. Das Team des Jugendhauses und die Stadtverwaltung sind daher angewiesen auf Rückmeldung von der Sprayer-Szene, welche mit darauf achtet, dass an der Legal Wall alles nach den gemeinsam festgelegten und künftig dort veröffentlichten Regeln abläuft. Die Beteiligten erhoffen sich dadurch außerdem, dass die Jugendlichen sich auch fürs Stadtbild von Uhingen zuständig fühlen.
Schon als kleines Kind habe er die Graffitis wahrgenommen, erinnert sich der Uhinger Moritz Hohlbauch, der vor fünf Jahren das erste Mal mit Farb-Spraydosen an einer Wand gemalt hat. Doch wieso kam er erst mit zirka 20 Jahren zu dieser besonderen Form der Malerei? „Bei uns gab es keine geeigneten Flächen in der Nähe, auf denen legal gemalt werden darf“, erklärt er. Daher fuhr der junge Uhinger regelmäßig mit dem Zug etwa eine halbe Stunde nach Stuttgart, um dort an einer Legal Wall zu sprühen – oder eine Stunde mit dem Fahrrad nach Holzmaden. „Das ist ein ziemlicher Aufwand“, resümiert er. Zwar gibt es auch noch in Faurndau eine erlaubte Sprühfläche, diese sei aber einerseits zu klein und andererseits handelt es sich dabei lediglich um eine Holzwand. „Sie wurde, ohne die Bedürfnisse der Sprayer-Community zu kennen, aufgestellt“, kritisiert der junge Uhinger. „Denn sie ist fürs Malen einfach nicht geeignet.“ Deshalb begrüßt er es, dass seine Heimatstadt Uhingen nun – auch auf sein Betreiben hin – einer Legal Wall zugestimmt und eine Seite der Unterführung zur Verfügung gestellt hat.
„So eine Legal Wall ist ein Alleinstellungsmerkmal in der näheren Umgebung und ein zusätzliches Freizeitangebot in Uhingen, das das Leben in unserer Stadt noch attraktiver macht“, ergänzt Uhingens Hauptamtsleiter Markus Malcher. Dass zwei große Wände für so ein Vorhaben zur Verfügung gestellt werden konnten, stelle keine Selbstverständlichkeit dar. Man sein dankbar, dass die Stadt Uhingen den Nutzungsvertrag mit der Bundesstraßenverwaltung, vertreten durch das Straßenbauamt des
Landratsamtes Esslingen (auch zuständig für den Landkreis Göppingen), vereinbaren konnte. Die Bundesbehörde ist zuständig, weil sich die Unterführung unterhalb der Bundesstraße befindet. Der auf unbestimmte Zeit festgelegte Vertrag sieht vor, dass nur politisch, religiös und weltanschaulich neutrale Motive zugelassen sind. „Wir sind froh, dass wir diese Genehmigung erzielen konnten“, sagt Markus Malcher. „Es ist toll, dass es nun möglich ist, die Wände auf legalem Weg zu besprühen.“
Werden durch die legale Spray-Wand nun Graffiti-Sprüher und – Sprüherinnen in Uhingen einfallen und öffentliche sowie private Gebäude besprühen? Diese Sorgen mancher Bürgerinnen und Bürger kann Sarah
Bretzler einerseits nachvollziehen, sie aber andererseits auch entkräften.
Durch den Austausch mit Sprayer Moritz Hohlbauch weiß sie: Die Szene, die eine Legal Wall nutzt, geht verantwortungsvoll mit den Graffiti um. „Sie wollen ihre Bilder und Schriftzüge nicht heimlich und unter Zeitdruck sowie aus Angst, erwischt zu werden, erstellen“, erzählt Sarah Bretzler. Vielmehr gehe es den Künstlern und Künstlerinnen darum, auf legale Weise ihrem Hobby nachgehen zu können. Erfahrungen von anderen Legal Walls hätten außerdem gezeigt: „Die Bilder bleiben auf der Wand und kommen nicht auf
Häuser.“ Ein weiterer Vorteil sei, ergänzt Moritz Hohlbauch: Bei einer Legal Wall treffen Anfänger auf fortgeschrittene Sprayer und können sich Tipps hohlen.
„Die Sprüh-Aktionen werden mit der Legal Wall in die Öffentlichkeit geholt und erfolgen nicht mehr im Verborgenen“, fügt Uhingens Bürgermeister Matthias Wittlinger hinzu, der nachvollziehen kann, dass sich
manche Bürgerinnen und Bürger sorgen. Allerdings betont das Stadtoberhaupt: „Es geht uns nicht darum, Scharen an Sprayern nach Uhingen zu locken, die hier alles vollsprühen. Vielmehr wollen wir den Jugendlichen in Uhingen mit dem Sprayprojekt eine weitere Freizeitbeschäftigung in Obhut des Jugendhaus-Teams und mit der Legal Wall einen vorschriftsmäßigen Ort anbieten, an der die Sprayer ihre
Kunstwerke auftragen können.“
Und das soll mit der Legal Wall möglich sein, auf die sicherlich schon einige Sprayer und Sprayerinnen warten. Denn so viele dieser Sprüh-Wände gibt es nicht. Um so eine Legal Wall anzubieten, müssen auch einige Voraussetzungen erfüllt sein. Einerseits muss die Wand groß genug sein. Uhingens Legal Wall – die beiden Seitenwände in der Unterführung – ist etwa 2,5 Meter hoch und sechs Meter breit. Andererseits sollte sich die Wand nicht an belebten Orten mit vielen Passantinnen und Passanten befinden.
„Der Farbnebel sollte nicht eingeatmet werden“, erzählt Sarah Bretzler weiter. Um einen Interessenskonflikt zwischen Sprayer-Szene sowie Passantinnen und Passanten zu vermeiden, sei auch die Unterführung beim
Uhinger Bahnhof als möglicher Standort ausgeschieden. „Für die Menschen in Uhingen ändert sich eigentlich nichts“, fügt Moritz Hohlbauch hinzu und ergänzt: „Außer sie sind in der Unterführung unterwegs und sehen dann jemanden, der gigantische Bilder oder Schriftzüge entstehen lässt.“
PM Stadt Uhingen