Sonntagsgedanken: Einigkeit

„Wir sind uns immer einig.“ sagt ein Mann und blickt dabei auffordernd seine Frau an. Wird sie ihm widersprechen oder mit dem Kopf nicken? Das wäre nichts für mich, denke ich – ein Partner, der davon ausgeht, dass ich keine eigene Meinung habe. Es kann zwar anstrengend und konfliktreich sein, eine andere Meinung zu vertreten, aber bei der Vorstellung, immer derselben Meinung wie ein anderer sein zu müssen, kommt mir das kalte Grausen. Es ist schön, wenn man sich einig ist, aber bitte nicht um den Preis des eigenständigen Denkens. Wir sind keine geklonten Dollys, sondern Individuen, einzigartige Persönlichkeiten, von Gott geliebt in unserer ganzen Unterschiedlichkeit. Die Vielfältigkeit macht doch gerade den Reiz aus…
„Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast.“ (Joh 17,21) Ich gebe zu, dieser Satz, den der Evangelist Johannes Jesus sagen lässt, provoziert mich. Wenn es schon in einer Partnerschaft kaum möglich ist, sich stets einig zu sein, wie soll das dann bitteschön bei allen Christen weltweit gehen? Unterschiede gab es ja bereits in den Urgemeinden: Wer als Jude Christ wurde, unterschied sich von den Heiden, die sich taufen ließen. Von Anfang an wurde innerhalb des Christentums um die Wahrheit gerungen, nicht jeder Konflikt ließ sich lösen und oft trennte man sich voneinander, weil jeder so sehr von seiner eigenen Wahrheit überzeugt war, dass keine Kompromisse gefunden werden konnten. So existieren heute unzählig viele unterschiedliche Konfessionen und Kirchen. Selbst innerhalb einer Konfession gibt es unterschiedliche Richtungen. In der Katholischen Kirche setzen beispielsweise nicht wenige alles daran, dass Frauen nie und nimmer zu einem Weiheamt zugelassen werden, während andere schon längst der Meinung sind, dass es keine theologischen Gründe dagegen gibt. „Alle sollen ein sein!“ Jesu Wort provoziert mich. Einigkeit um jeden Preis ist nicht das, was für mich erstrebenswert ist, umso mehr weil zu viele meinen, Einigkeit sei durch Macht zu erreichen.
Wenn Jesus von Einigkeit redet, kann er kaum daran gedacht haben, dass alle gleich ticken. Sehen wir uns das genauer an: Jesus wünscht sich, dass die, die zu ihm gehören, eins sein sollen, wie er mit seinem Vater eins ist. Was Jesus mit dem Vater verbindet, ist zuallererst die Liebe. Nehmen wir seine Worte über die Einigkeit ernst, dann folgt: Es geht nicht darum, dass alle gleich und einer Meinung sind, sondern dass alle Christinnen und Christen dazu in der Lage sein sollten, einander über alle Unterschiede hinweg zu lieben. Wer liebt, der nimmt den anderen an, wie er ist, er verbiegt ihn nicht. Wer liebt, hält aus, dass wir verschieden sind. Wer liebt, toleriert, erträgt auch die „ganz anderen“.

 

Agnes Steinacker-Hessling

Pastoralreferentin

Katholisches Pfarramt Mariä Himmelfahrt, Rechberghausen

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